Auch Kinder haben Grenzen

Auch Kinder haben Grenzen - Blogbeitrag von Maya Risch www.mayarisch.ch

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Auch Kinder haben Grenzen

Kinder sind von Geburt weg soziale Wesen und wollen wertvoll sein für uns und ihre Familie. Deshalb kooperieren sie mit unseren Bedürfnissen oft weit über ihre Grenzen hinaus. Aber auch Kinder haben Grenzen und müssen manchmal für ihre eigene Integrität einstehen dürfen.

Dieser Artikel ist im Februar 2021 hier auf www.familienleben.ch erschienen.

Von Maya Risch

Kinder haben bereits als Baby einen eigenen Charakter, Vorlieben und Abneigungen. Jedes Kind ist einzigartig und deshalb brauchen auch nicht alle Kinder das Gleiche.

Allen Kindern ist aber gemeinsam, dass sie zu unserer Gemeinschaft Familie dazugehören und sich wertvoll fühlen wollen. Sie wollen sich geliebt fühlen und anerkannt werden als die Person, die sie sind – auch dann, wenn sie starke Gefühle wie Trauer, Wut oder Angst ausdrücken. Kinder sind von Geburt an kompetent darin, uns zu zeigen, was ihnen gefällt und wo ihre Grenzen sind. Wenn ein Baby zum Beispiel den Blick von uns abwendet, sagt es damit: «Ich habe genug gespielt, gelacht und gehört. Ich brauche eine Pause.» Es ist jedoch nicht immer einfach zu erkennen, wann unser Baby Ruhe, Schlaf oder Nahrung braucht oder wann es mit uns spielen will.

Erwartung vs. Bedürfnisse

In seinem ersten Lebensjahr sind wir sehr interessiert an den Zeichen unseres Kindes. Irgendwann beginnen wir aber zu glauben, dass wir schon wissen, wer unser Kind ist und was es braucht. Wir achten immer weniger auf seine Zeichen.

Stattdessen fangen wir an, vom Kind zu erwarten, dass es sich so verhält wie gewohnt, wie es altersmässig sein sollte oder wie es gemäss unseren Vorstellungen in der Familie angebracht wäre: «Tom ist ein Träumer», «Silvia ist sportlich», «Evi ist ein Trotzkopf» oder auch «wir wollen ein Kind, das mutig und fröhlich ist». Solche Definitionen machen es dem Kind schwer, seine Persönlichkeit eigenständig zu entfalten.

Der Konflikt zwischen Kooperation und Integrität

Kinder brauchen Eltern, die achtsam bleiben und die Persönlichkeit und das Energielevel ihres Kindes zum aktuellen Zeitpunkt wahrnehmen. Gelingt es uns Eltern, die Bedürfnisse, Eigenheiten und Grenzen unseres Kindes ernst zu nehmen und zu benennen, kann das Kind sich selber kennen lernen. 

Wir tragen damit auch dazu bei, dass seine Integrität gewahrt wird. Das Kind steht, wie auch wir Erwachsenen, in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Integrität und Kooperation:

Integrität bedeutet, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu kennen, ernst zu nehmen und für diese zu kämpfen. Kooperation bedeutet, auf die (bewussten und unbewussten) Bedürfnisse des Gegenübers einzugehen oder sich sogar nach diesen zu richten. Wir kooperieren, um uns wertvoll und geliebt zu fühlen, und so ist es auch bei unseren Kindern.

Ein Spannungsfeld entsteht nun, wenn unsere Bedürfnisse und Erwartungen jenen des Gegenübers diametral entgegenstehen. In solchen Momenten stellt sich die Frage: Wie viele Erwartungen können wir erfüllen und wie lange? Wann geht es uns nicht mehr gut damit und wir verlieren unsere Kraft? Wir geraten dann in einen inneren Konflikt zwischen unserem Bedürfnis, vom Gegenüber geschätzt zu werden und ihm entgegenzukommen auf der einen Seite und der Notwendigkeit, für unsere Grenzen und unser Wohlbefinden einzustehen auf der anderen Seite.

Kinder können nicht immer funktioinieren

Für Kinder ist dieser Konflikt sogar existenziell, da sie von uns Eltern rundum abhängig sind. Deshalb kooperieren Kinder oft weit über ihre Grenzen hinaus mit den Vorstellungen und Erwartungen, die wir an sie haben.

Ein Beispiel: Ein Kind, das in der Schule immer wieder dafür kritisiert wird, langsam zu sein, dies jedoch zu seinem Wesen gehört und nichts mit Verweigerung oder Trödeln zu tun hat, erlebt immer wieder, dass es falsch ist, langsam zu sein. Ist das Kind stark, kämpft es für sich, indem es sich vielleicht irgendwann weigert in die Schule zu gehen, weil es die Spannung nicht mehr ertragen kann. Oder es bekommt Bauchweh, Kopfweh oder andere Symptome.

Und was machen wir Eltern typischerweise? Wir sagen, dass das doch nicht schlimm sei und dass es sich ein bisschen zusammenreissen soll. Das heisst, wir fordern von ihm, dass es sich anpasst. Bloss hat es dies schon die ganze Zeit versucht und kann nun nicht mehr.

Für das Kind ist es stattdessen wichtig, dass wir uns dafür interessieren, warum es nicht mehr in die Schule will und dass wir dem Kind dabei helfen, seine Integrität zu wahren und wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Das bedeutet in diesem Fall, dass wir es annehmen und auch in der Schule dafür einstehen, dass die Lehrperson sieht und anerkennt, dass das Kind bereits sein Bestes gibt und trotzdem langsam bleibt. Es ist ein riesiger Unterschied für das langsame Kind, ob es mit dieser Eigenschaft angenommen wird oder ob es immer das Gefühl vermittelt bekommt, falsch zu sein.Richtig reagieren: Wie Sie Ihr Kind jetzt unterstützen

Hat ein Kind seine eigenen Grenzen weit überschritten und kann und will gerade nicht mehr funktionieren, dann braucht es Eltern, die dies erkennen und verstehen. Es braucht Eltern, die merken, dass es sich zuerst um sein eigenes Wohlbefinden kümmern muss. Nur ist das leider viel einfacher gesagt als getan. Insbesondere, wenn wir gerade genervt sind und denken: «Warum muss mein Kind wegen dieser Kleinigkeit so einen Aufstand machen?»

Achten Sie doch im Alltag einmal darauf, wie oft ihr Kind mit Ihnen und Ihren Bedürfnissen, Zielen, Ihrem Arbeitsalltag und jenem der Schule zusammenarbeitet. Wann tut es das nicht? Vermutlich eher selten, aber sobald es mal nicht kooperiert, fordern wir von ihm, dass es sich anpassen und funktionieren soll. Manchmal nehmen wir sein Verhalten dann persönlich und glauben, dass das Kind uns provozieren will. Mögen Sie es, immer funktionieren zu müssen? Ich ermuntere Sie dazu, mehr darauf zu vertrauen, dass das Kind sein Bestes gibt und darauf, dass auch wir unser Bestes geben, das gerade heute möglich ist.

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So wachsen Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl

So wachsen Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl

Die Unterscheidung von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen ist deshalb wichtig, weil sie unterschiedlich wachsen. Oft loben Eltern ihre Kinder in der Absicht, das Selbstwertgefühl zu stärken. Dieses braucht jedoch etwas anderes, um zu entstehen.

Selbstvertrauen allein reicht nicht, um zu einer starken Persönlichkeit heranzuwachsen. Eltern sollten auch das Selbstwertgefühl ihrer Kinder fördern.

Von Maya Risch

Wir Eltern wollen, dass unser Kind viel Selbstvertrauen und ein gesundes Selbstwertgefühl entwickelt. Beides, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind von grosser Bedeutung in unserem Leben.

Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die beiden Begriffe häufig synonym verwendet. Eine Unterscheidung ist aber nötig, weil sich Selbstwertgefühl anders entwickelt als Selbstvertrauen.

Selbstvertrauen oder Selbstwertgefühl?

Ich erlebe immer wieder, dass Eltern ihr Kind viel loben, in der Absicht, das Selbstwertgefühl des Kindes zu stärken. Dadurch wird jedoch stattdessen das Selbstvertrauen gestärkt. Wie Selbstwertgefühl wachsen kann, beschreibe ich gleich ein paar Zeilen weiter unten.

Selbstvertrauen

Beim Selbstvertrauen geht es um die Frage: Was kann ich? Wenn ich etwas gut kann, habe ich in diesem Bereich viel Selbstvertrauen. Das führt dazu, dass ich sagen kann:

«Ich fühle mich gut, weil ich in einem Thema gut Bescheid weiss, etwas gut kann, Leistung bringe oder etwas gut beherrsche.»

Das Selbstvertrauen unseres Kindes stärken wir, indem wir…

  • das Kind in einem guten Mass und bei guter Leistung loben.
  • die Selbstdisziplin stärken, also das Kind dazu anhalten, etwas zu üben, sich anzustrengen, dranzubleiben und erleben lassen, dass es damit etwas erreichen kann.
  • Erfolgserlebnisse hervorheben und feiern (Sport, Schule, neu erlernte Fähigkeiten): «Das kannst du gut», «Das hast du geschafft».

Selbstwertgefühl

Viel Selbstvertrauen zu haben, hilft leider nicht, das Selbstwertgefühl zu steigern.

Dazu fällt mir eine Szene aus dem Film «Cool Runnings» ein, in welchem der Trainer, ehemaliger Olympiasieger, von seinem jamaikanischen Bobpiloten gefragt wird: «Warum hast du eigentlich Doping genommen, nachdem du Olympiasieger geworden warst, das verstehe ich nicht. Du hattest doch alles erreicht.»

Seine Antwort: «Wenn du ohne Olympiasieg niemand bist, bist du auch mit Olympiasieg niemand.» Der Olympiasieg hatte zwar das Selbstvertrauen des Sportlers gestärkt, aber ihm nicht zu einem gesunden Selbstwertgefühl verholfen.

Umgekehrt kann ein gesundes Selbstwertgefühl dabei helfen, geringes Selbstvertrauen in einem Bereich auszugleichen. Das ist so, weil ein Kind mit einem guten Selbstwertgefühl den Mut hat, etwas, was es nicht sofort kann, nochmals zu versuchen und nicht gleich denkt «Das ist sowieso umsonst, ich bin nicht gut genug.»

Dies ermöglicht es ihm, zu erleben, dass seine Fähigkeiten durch Üben verbessert werden, was dann wiederum das Selbstvertrauen in diesem Bereich stärkt.

Ein gesundes Selbstwertgefühl ist der wirksamste Abwehrmechanismus gegen Schikanen, Mobbing, körperliche Gewalt und persönliche Kritik. – Jesper Juul

Beim Selbstwertgefühl geht es um die Frage: Wer bin ich? Wenn ich mich mit all meinen Eigenheiten annehmen kann, wie ich bin, habe ich ein gesundes Selbstwertgefühl. Dann kann ich von mir sagen:

«Ich fühle mich gut, weil ich bin, wer ich bin.» «Ich fühle mich wertvoll, auch wenn die Dinge nicht immer so laufen, wie ich es mir vorstelle.» «Meine ganze Persönlichkeit ist ok so wie sie ist, ohne dass ich etwas Bestimmtes leisten oder können muss.»

Mit einem gesunden Selbstwertgefühl erleben wir Konflikte und Kritik nicht als etwas Bedrohliches und nehmen diese nicht persönlich. Das hilft, reife Beziehungen einzugehen, begünstigt das soziale und kognitive Lernen und hilft auch dabei, Schwierigkeiten im Alltag gelassener zu meistern.

Das Selbstwertgefühl trägt somit massgeblich dazu bei, dass wir uns als Menschen wohl fühlen und unsere Lebensfreude und -qualität steigt.

Das Selbstwertgefühl unseres Kindes wächst, wenn es sich von mindestens einer wichtigen Person in seinem Umfeld bewusst «gesehen» und akzeptiert fühlt, so wie es ist und wenn es erlebt, dass es für andere Menschen wertvoll ist, ohne sich verstellen, zu sehr anpassen oder etwas leisten zu müssen.

Wir stärken das Selbstwertgefühl unseres Kindes, indem wir…

  • die Eigenheiten des Kindes annehmen.
  • ihm Eigenverantwortung überlassen.
  • seine Grenzen und Bedürfnisse ernst nehmen und in den Alltag einbeziehen.
  • dem Kind liebevolle Blicke schenken.
  • gemeinsame Zeit geniessen und mit dem Kind zusammen lachen.
  • präsent sind (ohne Handy) und dem Kind wirklich zuhören.
  • das Kind nicht mit anderen vergleichen – es ist einzigartig.
  • das Kind darin bestärken, seinen Gefühlen zu vertrauen.

Natürlich stärken wir das Selbstwertgefühl unseres Kindes auf vielfältige Weise auch über unsere Sprache. Dazu ein andermal mehr. Obige Ideen sollen zeigen, was wir ohne viele Worte mit unserer Haltung, Wertschätzung und Zuwendung zur Stärkung beitragen können. Kinder lernen durch das, was wir tun, oft mehr als dadurch, was wir zu ihnen sagen.

«Selbstwertgefühl stärken» ist übrigens eines der Themen, mit dem wir uns auch in meinen familylab Elterngruppen ausführlich beschäftigen.

Literaturtipp:
 Dan Svarre, «Du bist einzigartig» Starker Selbstwert – starkes Kind

Im Juni 2019 ist dieser Artikel von mir in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Artikel als PDF downloaden.

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