Geschrieben von Maya Risch, erschienen in der Ausgabe 2/24 “Schule konkret” von swch (Schule und Weiterbildung Schweiz)
Wut als Warnsignal sehen und nutzen
Wut ist aber auch eine Kraft , eine Lebensenergie. Sie leistet als Warnsignal gute Dienste und meldet sich zum Beispiel, wenn eine Grenze überschritten wird. Gelingt es, die Wut rechtzeitig wahrzunehmen und konstruktiv zum Ausdruck zu bringen, indem man frühzeitig und kraft voll «Nein» oder «Stopp» sagt, ist sie hilfreich, auch im Klassenzimmer sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für Lehrpersonen. Das mag einfach und einleuchtend klingen. Warum aber lehnen viele Wut ab? Warum fällt es den meisten so schwer, Wut als etwas Positives zu sehen und ihre Kraft zu nutzen?
Oft zeigt sich nur die destruktive Seite der Wut
Vielfach kennen Erwachsene nur die destruktive Seite der Wut. Es mag sein, dass sie als Kind von wütenden Erwachsenen Gewalt erfahren haben, indem sie verbal gedemütigt oder geschlagen wurden. Sie haben Wut als zerstörerisch, als physisch und psychisch schmerzhaft erlebt. Wer als Kind die eigene Wut nicht bändigen konnte, machte wohl die Erfahrung, weggeschickt und allein gelassen zu werden
– Wut und Aggression führte also zu Bindungsverlust. Auch das macht Angst und schmerzt auf eine andere Art. So kann kein gesunder Umgang mit Wut und keine Strategie erlernt werden, die als Orientierung taugt, konstruktiv mit dem starken Gefühl der Wut umzugehen.
Lehrpersonen wollen sinnvollerweise Gewalt verhindern – und lehnen dabei Wut und Aggression vorsichtshalber auch gleich ab, meistens weil ihnen selbst positive Erfahrungen und passende Strategien in diesem Bereich fehlen. Denn niemand will sich hilflos fühlen, wenn Kinder sich aggressiv verhalten und die eigene Wut aufsteigt.
Explosion und Implosion
Leider führt diese Strategie häufig nur dazu, dass die Wut zeitverzögert und unkontrollierter ausbricht. Indem Wut verdrängt, abgelehnt, verboten wird, verschwindet sie nicht einfach, sondern gärt im Versteckten weiter wie frischer Most in der Flasche. Man kann die Flasche zwar zuschrauben, damit der Most nicht überläuft , aber irgendwann wird der Druck so gross, dass die Flasche explodiert. Die Wut
staut sich an und sucht sich früher oder später unkontrolliert ihren Weg. Dies gilt für die Wut von Erwachsenen genauso wie für jene von Kindern und Jugendlichen. Fühlt man sich unter Druck, hilflos, ohnmächtig, steigt die Gefahr, dass die Wut in verbale oder gar physische Gewalt umschlägt.
Psychologisch ist auch das Gegenteil bekannt: Menschen implodieren, indem sie ihre Wut verdrängen, um eine Explosion zu verhindern. Die gestaute, verdrängte Kraft macht sich im Innern bemerkbar, führt zu Abwertung, Selbstzweifeln, Traurigkeit, Bitterkeit und teilweise gar zu ernsthaft en Krankheiten.