Wenn Geschwister streiten: Wie Eltern gelassen und konstruktiv reagieren

Geschwister streiten sich oft. Zuweilen so oft, dass wir Eltern uns fragen, ob das denn noch normal ist. Keine Sorge – Geschwis­ter­streit gehört zu jedem Fami­li­en­alltag. Fami­li­en­be­ra­terin Maya Risch verrät, wie Sie sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn sich der Nach­wuchs ständig zankt und wie Ihre Kinder von den Strei­te­reien sogar profitieren.

(Erst­mals erschienen auf www​.fami​li​en​leben​.ch)

Bild: Getty­Images Plus, Imgorthand

Eingreifen oder streiten lassen? Wenn Geschwister ständig zanken, kann das für Eltern ganz schön heraus­for­dernd sein.

Ich will das Auto haben!» «Du bist doof» «Lass mich in Ruhe» «Ich habe gestern einen Keks mehr gekriegt als du, ätsch». So und ähnlich tönt es oft zwischen Geschwis­tern. Gezanke, Streit und Kampf, das ist Fami­li­en­alltag. Ausein­an­der­set­zungen zwischen Geschwis­tern sind oft sehr emotional und intensiv, auch physisch und verbal. Niemand weiss so gut, wie der Bruder oder die Schwester, wie er/sie das Geschwister blitz­schnell auf die Palme bringt.

Für uns Eltern fühlt es sich phasen­weise so an, als ob Geschwister sich pausenlos streiten und die meisten von uns fragen sich wohl zwischen­durch, ob das noch normal ist. Mir ging das jeden­falls immer wieder so, als unsere Jungs noch jünger waren. Es war für mich eine grosse Erleich­te­rung, zu lesen, dass Geschwister sich laut wissen­schaft­li­chen Unter­su­chungen etwa 4x pro Stunde streiten. Diese Ergeb­nisse sind mit Hilfe von in Kinder­zim­mern ange­brachten Mikro­fonen entstanden.

Streiten lassen oder eingreifen?

Trotz dieses Wissens und der Erleich­te­rung, konnte ich mit den Strei­te­reien nicht auto­ma­tisch gelas­sener umgehen. Ich erlebe Geschwis­ter­streit bis heute als grosse Heraus­for­de­rung. Weshalb? Das hat mit verschie­denen Faktoren zu tun. Da ist einmal mein Harmo­nie­be­dürfnis, Streit und Unfrieden stört einfach und muss schnell wieder verschwinden. Heute ist mir klar, dass die Laut­stärke und die Angst vor einer mögli­chen Eska­la­tion mein Nerven­system stra­pa­zieren und Anspan­nung in mir auslöst, das ist unan­ge­nehm. Ich liebe ja beide meiner Söhne sehr und will nicht, dass einer der beiden Schmerz durch
den anderen erlebt, auch das spielt eine Rolle.

Immer wieder brachten mich die Strei­te­reien und Kämpfe meiner beiden Buben ins Dilemma. Soll ich eingreifen oder die Jungs streiten lassen? Wieviel Streit und Dishar­monie muss ich einfach aushalten? Was ist denn meine Verant­wor­tung in einem Geschwis­ter­streit, was jene der Geschwister? Was müssen sie sogar lernen, alleine zu klären? Wann soll ich wie unter­stützen, begleiten, wozu meine Meinung sagen?

Kinder lernen im Streit, Grenzen zu ziehen

Ich musste lernen, dass es «das Rich­tige» meist nicht gibt und wenn ausnahms­weise doch, dann ist es beim nächsten mal schon wieder nicht mehr das Rich­tige. Da ich in diesem Dilemma steckte, mich hilflos fühlte und mir selten klar war, wie ich mich in der aktu­ellen Situa­tion verhalten soll, ist es mir leider in vielen Situa­tionen nicht gelungen, gelassen, konstruktiv, fair und hilf­reich zu reagieren. Denn ich geriet selber in Not, während meine Kinder eine souve­räne Erwach­sene gebraucht hätten, die ihre Bedürf­nisse gesehen hätte und mit ihnen ihre starken Gefühle ausge­spro­chen und ausge­halten hätte. Dadurch können Kinder lernen, mit starken Gefühlen umzu­gehen, eigene Grenzen zu ziehen und selber Wege aus dem Streit zu finden.

Wie Eltern konstruktiv mit Geschwis­ter­streit umgehen

  1. Mindset: Geschwis­ter­streit ist nicht falsch oder unge­wöhn­lich, sondern gehört zur Bezie­hung zwischen den Geschwis­tern, zum Fami­li­en­leben und zur Kinder­ent­wick­lung mit dazu. (Das ist manchmal anstren­gend. Auch das darf sein!)
  2. Wenn die Geschwister aufein­ander losgehen, für Sicher­heit sorgen, z.B. spitze Gegen­stände aus dem Weg räumen.
  3. Ist der Streit einfach laut und nervig, kann ich mich raus­halten und muss dann evtl. gut für mich selber sorgen. Dann kann ich, anstatt zu schimpfen, z.B. einen Gehörschutz/Ohropax anziehen oder den Kindern sagen, dass sie draussen fertig streiten sollen. 
  4. Den Streit eher begleiten als schlichten: Partei zu ergreifen hilft selten weit und hinter­lässt Groll auf der einen Seite. Die Not, Bedürf­nisse und Gefühle aller Betei­ligten in Worte zu fassen ist
    daher eine bessere Strategie.
  5. Wir Erwach­senen sind nicht immer verant­wort­lich dafür, eine Lösung zu finden.

Meine Erkenntnis: Der Streit der Kinder stellt für alle ein Lern­feld dar. Die Kinder können in einem geschützten Rahmen explo­rieren und so einen konstruk­tiven Umgang mit Gefühlen, Grenzen und Konflikten lernen. Das dauert oft eine Kind­heit lang, bis sie das gelernt haben.

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