«Tut Wut gut?»: Wie Sie die Kraft der Wut für sich nutzen

Wut ist ein starkes Gefühl, ein Warn­si­gnal. Aber auch eine Kraft und Antrieb für Gutes. Aber nur, wenn wir die Wut früh­zeitig wahr­nehmen. Fami­li­en­be­ra­terin Maya Risch erklärt Ihnen, wie Sie Wut erkennen und
ihre Kraft für sich nutzen.

(Erst­mals erschienen auf www​.fami​li​en​leben​.ch)

Wenn es in uns brodelt: Wer Wut recht­zeitig wahr­nimmt und zum Ausdruck bringt, tut sich selbst und seinem
Umfeld viel Gutes. Bild: Getty­Images Plus, sky_melody

«Wenn ich nach einem Tag ohne Pause und dem x‑ten Streit der Kinder explo­diere und in der Wut meine Kinder anschreie und Dinge zu ihnen sage, die ich im Leben nie sagen wollte, plagen mich danach Schuld­ge­fühle», sagt meine Freundin. «Wut ist keine gute Sache.» Ihr Sohn findet hingegen: «Hmm, wenn ich wütend bin und dann Dampf ablasse und schreie, stampfe und kämpfe, bin ich nachher irgendwie
leichter und ruhiger. Wut tut mir gut.»

Wut erkennen und als Warn­si­gnal nutzen

Wut ist eine Kraft, Lebens­en­ergie, ein Grund­ge­fühl, das alle Menschen schon bei der Geburt mitbringen. Sie leistet uns als Warn­si­gnal gute Dienste, wenn es uns gelingt, sie recht­zeitig wahr­zu­nehmen und zum
Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel indem wir früh­zeitig und kraft­voll «Nein» oder «Stopp» sagen, wenn unsere Grenze über­schritten wird. «Ich halte diese laute Musik nicht mehr aus. Ich will, dass du leiser stellst oder ins Zimmer gehst.» Oder, wenn wir kraft­voll dafür einstehen, dass wir 15 Minuten Pause brau­chen, weil grad alles zu viel wird. Wut kann Verän­de­rung bewirken, wenn wir sie recht­zeitig wahr­nehmen und ange­messen ausdrü­cken.
Das klingt einfach und einleuch­tend. Warum lehnt dann aber meine oben erwähnte Freundin die Wut ab? Warum fällt es den meisten von uns so schwer, Wut als etwas Gutes zu sehen und ihre Kraft zu nutzen?

Wir wollen Wut oft nicht wahr­nehmen. Warum eigentlich?

Viel­fach kennen wir nur die zerstö­re­ri­sche Seite der Wut. Vielen von uns wurde von wütenden Erwach­senen Gewalt angetan, indem wir verbal gede­mü­tigt oder gar geschlagen wurden. Daraus haben wir gelernt, dass Wut und Aggres­sion zu Gewalt führen und grosse Schmerzen verur­sa­chen. Weil wir unsere Liebsten nicht verletzen wollen, lehnen wir nicht nur Gewalt ab sondern auch gleich Wut und Aggression.

Wenn wir keinen gesunden Umgang mit Wut erlebt haben, keine Modelle und Stra­te­gien kennen, wie wir konstruktiv damit umgehen können, dann ängs­tigt es uns, wenn wir spüren, wie Wut in uns aufsteigt. Wir wollen nicht gewalt­tätig sein und unsere Erfah­rung sagt uns, dass wir nun gerade darauf zusteuern, also versu­chen wir, die Wut zu verdrängen. Wir negieren, verste­cken oder unter­drü­cken sie.

Wohin geht die Kraft, wenn wir unsere Wut verdrängen?

Leider führt diese Unter­drü­ckungs-Stra­tegie häufig genau zu dem, was wir eigent­lich verhin­dern wollen. Indem wir Wut verdrängen, verschwindet sie nicht einfach, sondern gärt im Versteckten weiter, wie frischer Most in einer Flasche. Wir können die Flasche zwar zuschrauben, damit der Most nicht ausläuft, aber irgend­wann wird der Druck so gross, dass die ganze Flasche explo­diert. Die Wut staut sich an und sucht sich dann irgend­wann unkon­trol­liert ihren Weg.

Tatsäch­lich ist es so, dass die Gefahr für Gewalt steigt, wenn wir uns unter Druck, hilflos oder ohnmächtig fühlen. Wir halten das nicht mehr aus, explo­dieren irgend­wann und werden verbal oder physisch ausfällig. 

Bei einigen Menschen geschieht auch das Gegen­teil. Um diese Explo­sion zu verhin­dern, geht die verdrängte Kraft nach innen, gegen uns selber los. Wir werden uns selber gegen­über abwer­tend, zwei­felnd, traurig oder verbittert.

Wie wir uns mit unserer Wut auseinandersetzen

Tut Wut nun also gut? Sicher­lich nicht, wenn sie zerstö­re­risch wirkt. Sie tut gut, wenn wir den gesunden Umgang mit ihr erlernen. 

Das ist ein Prozess. Ein erster Schritt in die rich­tige Rich­tung besteht darin, Wut bewusst wahr­zu­nehmen, wenn sie hoch­kommt, statt sie zu verdrängen, wenn sie als sich als Signal meldet. «Hallo Wut» könnte ein
Anfang sein.

Wenn das nächste Mal Wut hoch­kocht, können Sie sie versu­chen, sich wie von aussen zu beob­achten. Was passiert im Körper, im Herz­raum, im Bauch? Welche Gedanken habe ich? Darf Wut sein? Wenn nicht, warum nicht?

Wie gehe ich denn mit der Wut meiner Kinder um? Was kann ich tun, wenn ich schon explo­diert bin? Woher kommt denn die Wut über­haupt und wie kann ich sie regu­lieren und ange­messen ausdrü­cken? Fragen Sie sich nun viel­leicht. Damit sind Sie nicht allein, deshalb mehr dazu in einem nächsten Artikel oder in meinem Kurs.

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