Nein sagen und gelassen bleiben

Nein sagen und gelassen bleiben

Wenn wir Nein sagen, kämpfen und wüten Kinder oft. Wie wir gelassen bleiben können und uns zu beruhigen anstatt das Kind, beschreibt dieser Artikel.

Dieser Artikel von mir ist im Oktober 2019 in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Von Maya Risch

Immer wieder müssen wir als Eltern Grenzen ziehen. Sei es, weil unsere persönliche Grenze erreicht ist, weil wir das Kind vor einer Gefahr schützen müssen oder weil Kinder noch nicht wissen, was sie brauchen.

Das bedeutet, dass wir immer mal wieder «Nein» sagen müssen. Die Reaktionen und Konflikte auszuhalten, die durch ein «Nein» ausgelöst werden, finde ich oft anstrengend.

 Weshalb Konflikte zum Familienalltag gehören

«Mama, kann ich ein Glacé haben?», fragt mein Sohn mich oft, denn er liebt Glacé. «Nein, du darfst jetzt kein Glacé haben, Du hattest bereits ein Dessert. Morgen gehen wir in den Zoo, dann kannst du mich nochmals fragen.»

Was ich jetzt am liebsten hören würde, wäre eine Antwort wie: »Alles klar, dann freue ich mich auf morgen.» oder mindestens ein «Ok.» Leider passiert das höchst selten, denn gesunde Kinder stehen für ihren Wunsch ein und sie müssen mit unserem «Nein» nicht einverstanden sein. Ihr Wunsch prallt auf unser «Nein» und ein Konflikt entsteht.

Diese Konflikte gehören zum Familienalltag wie Ketchup zu Pommes. Da ich harmoniebedürftig bin, hatte ich früher eine Abneigung gegenüber Konflikten. Ein Konflikt entsteht aber bereits, wenn ich etwas anderes will als mein Gegenüber. Das kommt in jeder Beziehung regelmässig vor. Erst seit ich dies verstanden habe, kann ich Konflikte als natürlichen Bestandteil des Zusammenlebens akzeptieren und sehe nicht mehr in jedem Konflikt sofort ein bedrohliches Problem. Entscheidend ist, wie wir mit solchen Konflikten umgehen, ohne destruktiv zu werden, also ohne das Kind zu beleidigen und abzuwerten oder anzubrüllen.

Wenn Eltern «Nein» sagen, steht das Kind für ein «Ja» ein

Wenn ich «Nein» sage, beginnt mein Kind, besonders wenn es so zwischen 2 und 6 Jahren alt ist, zu schreien und zu wüten. Es will ein «Ja» der Eltern erreichen und das ist gesund.

Viele Eltern entscheiden sich heute gegen den Gehorsam als oberstes Gebot in der Erziehung. Sie halten stattdessen Werte wie Gleichwürdigkeit und den Schutz der Integrität hoch. Sie nehmen die Gefühle ihrer Kinder ernst, und die Kinder haben keine Angst, ihre Gefühle klar zu zeigen. Darum drücken diese Kinder auch ihre Frustration meistens lautstärker aus als Kinder, die Angst haben, bestraft zu werden, wenn sie nicht sofort ruhig sind.

Vielfach erleben wir die Gefühlsausbrüche unseres Kindes als Kampf gegen uns und oft auch als Provokation. Dabei geht es dem Kind nicht darum, gegen uns zu kämpfen, sondern es steht einfach für sich ein. Es ist frustriert, weil es nicht bekommt, was es will. Es kämpft, damit wir endlich «Ja» sagen und es doch noch ein Glacé bekommt und das ist völlig in Ordnung. Für uns ist das allerdings meistens schwierig auszuhalten.

Warum Kinder wüten und weinen

Merkt das Kind dann, dass wir Eltern (wenn möglich ruhig und entspannt) bei unserem Entscheid bleiben, weint es in vielen Fällen darüber. «Ach nein, jetzt versucht es seinen Wunsch noch mit dem Druck auf die Tränendrüse durchzusetzen», denken einige an dieser Stelle vielleicht. Das Kind weint jedoch, weil es gerade einen Verlust erlitten hat. Es ist traurig, dass es nicht erhalten kann, was es sich gerade so sehr wünscht.

Halten wir auch das aus, was uns oft noch schwerer fällt, beruhigt sich das Kind und eine tiefe Ruhe kann einkehren. Diese Selbstregulation, den Prozess, der im Körper während des Wütens und Weinens abläuft, bis zum Ende durchleben zu können, ist essentiell für die Entwicklung von Frustrationstoleranz.

Diese Zusammenhänge zu verstehen ist hilfreich, denn so müssen wir das Schreien, Weinen und Wüten nicht persönlich nehmen und wissen, dass wir nichts falsch machen, wenn wir «Nein» sagen. Trotzdem bleibt es schwierig, den Stress auszuhalten, den das Verhalten des Kindes in uns auslöst.

Das Kind braucht unsere Nähe und unseren Trost

Damit dieser Stress möglichst rasch wieder verebbt, versuchen wir, das Kind zu beruhigen, zu beschwichtigen und zu trösten, wenn es wütend oder traurig ist.

Der oben erwähnte Prozess ist für das Kind zwar anstrengend, aber im Allgemeinen kommt es gut klar damit.

Wir Eltern sind es, die viel mehr Schwierigkeiten damit haben, und darum ist allen besser gedient, wenn wir versuchen, uns darum zu kümmern, uns selber zu regulieren, damit wir für das Kind auch danach wieder präsent sein zu können, wenn es im Anschluss Nähe und Trost sucht.

Wie kann uns das gelingen?

Hier einige Tipps, die auch von Eltern in meinen Kursen geäussert wurden:

  • Den Gefühlen des Kindes Worte geben, indem ich etwa sage: «Ich sehe, dass du wütend bist darüber, dass ich Nein gesagt habe, das ist in Ordnung.»
  • Dem Kaffee zuschauen, wie er ganz langsam aus der Maschine fliesst.
  • Mich auf meinen Atem konzentrieren und durchatmen.
  • Die Aufmerksamkeit auf die Füsse richten und den Boden unter den Füssen wahrnehmen.
  • Sich bewegen, hüpfen, stampfen, klatschen, um nicht zu explodieren.
  • Das Gesicht mit kaltem Wasser waschen.
  • Putzen, staubsaugen, aufräumen oder Geschirr waschen.
  • Dem Kind sagen: «Dein Schreien ist zu laut für meine Ohren und macht mich unruhig. Ich muss mich kurz selber beruhigen und gehe kurz raus auf den Balkon und komme gleich wieder.»

Abstand zur Situation gewinnen

Distanz schaffen ist sinnvoll. Allerdings ist es wichtig, dass wir dem Kind ruhig sagen, warum wir weggehen: «Hör mal, ich halte es nicht mehr aus, dass du so schreist, ich muss mich selber beruhigen und komme gleich wieder.» Sagen wir nichts, erlebt das Kind unser Handeln als Bestrafung oder Kontaktabbruch, und dieser macht kleinen Kindern oft Angst oder das Kind fühlt sich falsch.

Wenn wir es schaffen, uns selber zu regulieren, hilft das auch unserem Kind. Es spürt, wie wir ruhig werden und kann zusammen mit uns wieder runterfahren, als würde es mit uns in einen Lift einsteigen und hinunterfahren. Dies wird auch Co-regulation genannt. Kleine Kinder brauchen das – manche grössere auch –, weil sie sich alleine noch nicht gut regulieren können.

Was hilft Ihnen am besten, sich selber zu regulieren? Trauen Sie sich, damit zu experimentieren!

Erzählen Sie dann Ihrem Kind in einem ruhigen Moment davon, was Ihnen hilft, sich zu beruhigen. So bekommt es Ideen für sich selber und lernt Selbstregulation.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du diesen Artikel als PDF downloaden.

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