Warum macht mein Kind nicht das was ich will?

Warum macht mein Kind nicht das was ich will?

Kinder wollen mit uns zusammenarbeiten und geliebt werden. Sie sind abhängig von uns und befinden sich immer wieder im Spannungsfeld zwischen Integrität und Kooperation. Sollen sie sich anpassen oder für sich einstehen?

Eltern und Kinder sprechen manchmal unterschiedliche Sprachen. Das provoziert Missverständnisse. Bild: cosmaa, iStock, getty Images Plus

Von Maya Risch

Mein Kind macht nicht das, was ich ihm sage!», höre ich Eltern in meinen Beratungen oft klagen. Ist dem wirklich so? Oder machen unsere Kinder vielleicht ganz oft, was wir ihnen sagen, aber wir achten uns erst dann darauf, wenn sie es nicht mehr tun?

Die Familie ist eine Gemeinschaft und Kinder sind soziale Wesen. Ihnen ist es wichtig, als wertvoller Teil dieser Gemeinschaft wahrgenommen zu werden. Deshalb ahmen sie uns nach und versuchen, sich unseren Vorstellungen anzupassen, mit uns zu kooperieren. Sie geben meistens ihr Bestes, um Anerkennung und Liebe von uns zu bekommen und sich als Menschen angenommen zu fühlen.

Gemeinschaft und Individualität

Auf der anderen Seite sind Kinder – wie auch wir Erwachsenen – Individuen mit einer eigenen Integrität. Damit ist gemeint, dass Kinder eigene Bedürfnisse und Grenzen haben, eine eigene Persönlichkeit, ebenso wie Eigenarten, Stärken und Schwächen.

Kinder, wie auch Erwachsene streben einerseits Zugehörigkeit zur Gemeinschaft an und wollen andererseits ihre Individualität leben. Das bringt uns alle immer wieder in einen inneren Konflikt.

Kinder bringen von Geburt an enorm viel Bereitschaft zur Kooperation mit. Das geht so weit, dass sie sich zum Teil in der Schule, im Kindergarten oder in der Tagesbetreuung weit über ihr Wohlbefinden hinaus anpassen. Sie sind den ganzen Tag oft freundlich, gehorsam, warten geduldig, halten sich an die Regeln, strengen sich an und halten Frustrationen aus. Kommen sie nach Hause, ist ihre Kooperationsbereitschaft aufgebraucht.

Warum Kinder schreien, jammern, verweigern

Da reicht eine Aussage wie «Häng deine Jacke auf!» oder «Mach deine Hausaufgaben!» und sie beginnen zu schreien, zu jammern oder alles zu verweigern. Leider sagt kaum ein Kind stattdessen: «Mami, Papi, ich kann nicht mehr, ich brauche jetzt einfach Zeit und Raum für mich und meine eigenen Bedürfnisse.» Aber genau darum geht es.

Weil sie dies verbal nicht ausdrücken können – Erwachsene übrigens häufig auch nicht –, setzen die Kinder ihre Grenzen lauthals. Sie versuchen auf diese Art, in ihr inneres Gleichgewicht zurückfinden. Meistens schaffen sie das aber nicht alleine, sondern brauchen unsere Hilfe, die in erster Linie darin besteht, ihr Verhalten nicht persönlich zu nehmen, sondern die Signale zu erkennen, die sie uns mit ihrem widerspenstigen Verhalten zu senden versuchen.

Erst in folgender Konfliktsituation mit meinem Sohn wurde mir richtig bewusst, dass ich diesen inneren Konflikt zwischen Kooperationsbereitschaft und Integrität bis zu diesem Zeitpunkt nur der Spur nach verstanden hatte:

«Endlich konnte ich seine Not erkennen»

Ein Morgen, mitten im Schuljahr. Unser Sohn stand fertig angezogen unter der Wohnungstür, weinte und sagte, er könne nicht in die Schule, weil er Bauchweh habe – eine regelmässig wiederkehrende Situation. «Nun bloss nicht nachgeben, sonst hört das nie auf», dachte ich. Ich drängte ihn, trotz seinem Unwohlsein loszugehen und sagte: «Schule ist deine Aufgabe, du musst trotzdem hingehen.» 

Als er mir dann unter Tränen verzweifelt sagte: «Das habe ich doch versucht. Siehst du denn nicht, dass ich schon so weit gegangen bin wie ich konnte, sonst wäre ich ja im Pyjama geblieben – ich kann nicht mehr weiter als bis hierher.» In dem Moment verstand ich endlich, was genau damit gemeint ist, dass Kinder kooperieren, so lange sie können und zum Teil darüber hinaus, zum Beispiel bis sie Bauchweh bekommen.

Endlich konnte ich seine Not erkennen, und die Schulpflicht wurde zweitrangig. Wir hatten einen sehr schönen, gemeinsamen Vormittag zu Hause, der unserer Beziehung extrem guttat. Ich spürte enorme Dankbarkeit auf seiner Seite, dass ich auf sein Dilemma reagiert und ihn dabei unterstützt hatte, das zu tun, was für ihn nötig war, um sein emotionales und physisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Dass das gelang, zeigte sich unter anderem darin, dass die Bauchschmerzen verschwanden, er am Nachmittag problemlos zur Schule ging und in den nächsten Tagen sehr gelöst war und sich kooperativ verhielt.

Meine Reaktion führte auch nicht wie anfangs befürchtet dazu, dass sich diese „Bauchwehsituationen“ gehäuft hätten. Im Gegenteil, sie nahmen ab diesem Moment deutlich ab.

Den Selbstwert unserer Kinder stärken

Wenn wir die Signale als solche erkennen und darauf mit Empathie, Vertrauen und Verständnis reagieren, dann unterstützen wir unsere Kinder darin, ihr Gleichgewicht wiederzufinden und stärken ihren Selbstwert.

Leider ist das viel einfacher gesagt als getan. Das Verhalten der Kinder trifft uns manchmal persönlich oder nervt uns, weil es als unverständliche Weigerung daherkommt. Zudem sind wir als Eltern nicht unbegrenzt belastbar und haben auch unsere eigenen Grenzen und Bedürfnisse. Und wir haben auch unsere Schwächen. Wir sind deshalb bei weitem nicht immer in einem Zustand, der es uns möglich macht, auf eine Weigerung in oben beschriebenem Sinn zu reagieren. Es lohnt sich aber, dies trotzdem zu versuchen.

Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen immer mal wieder gelingt, die bedingungslose Liebe zu sehen, die Ihr Kind Ihnen entgegenbringt und seine Bestrebungen wahrzunehmen, ein wertvoller Teil der Familie zu sein.

Literaturtipp:

Mehr zum Thema Integrität und Kooperation finden Sie hier:

«Dein kompetentes Kind» – Jesper Juul, Herder Verlag
Erhältlich auf www.familylab.ch

«Das gewünschte Wunschkind treibt mich in den Wahnsinn» Katja Seide und Danielle Graf, Beltz-Verlag

Im März 2019 ist dieser Artikel von mir in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Artikel als PDF downloaden.

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