«So ein Frust!»

Wie Kinder Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz entwickeln

«Mein Kind hat eine geringe Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz, was kann ich tun?», werde ich in Bera­tungen immer wieder gefragt. Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz ist nicht ange­boren, sondern etwas, das das Kind mit der Zeit lernt. Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz zu entwi­ckeln bedeutet, dass das Kind unter anderem lernt, unan­ge­nehme Gefühle auszu­halten und zu regu­lieren. Das Kind muss Gele­gen­heiten erhalten, zu üben, seine Bedürf­nisse aufzu­schieben und seine Impulse zu kontrol­lieren und zu regulieren.

Wie Eltern unter­stützen können

Die Aufgabe der Eltern besteht darin, das Kind bei diesem Prozess zu unter­stützen und ihm zu helfen, Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz aufzu­bauen und auszu­weiten. Dabei sind auch Sie als Eltern oft damit konfron­tiert, eigene unan­ge­nehme Gefühle regu­lieren zu müssen.

Was passiert bei Ihnen als Eltern, wenn Sie Ihrem Kind schon dreimal gesagt haben: «Zieh deine Schuhe an», und nichts passiert? Wie reagieren Sie, wenn Sie klar kommu­ni­ziert haben: «Ich brauche eine Pause und will jetzt meinen Kaffee trinken, spiele du bitte 15 Minuten allein» und das Kind kommt nach 30 Sekunden wieder und sagt, es will jetzt mit Ihnen spielen? Vermut­lich fühlen Sie sich igno­riert und nicht ernst genommen. Wie reagieren Sie in diesem frus­trie­renden Moment? Werden Sie lauter? Schreien Sie gar oder schimpfen mit Ihrem Kind?

Gar nicht so einfach, konstruktiv mit Frus­tra­tion umzu­gehen, nicht wahr? Ihrem Kind geht es ähnlich. Zum Beispiel, wenn ihm etwas nicht gelingt, es beim Spiel verliert oder ihm ein Wunsch mit «Nein, jetzt gibt es das nicht» beant­wortet wird. Für das Kind ist eine konstruk­tive Reak­tion noch viel schwie­riger als für uns, denn das Gehirn Ihres Kindes ist noch (lange) nicht voll entwickelt.

Je nach Alter und Entwick­lungs­stand hat es erst wenige Möglich­keiten, um mit seiner Frus­tra­tion umzu­gehen. Weinen, schreien oder wüten sind einige davon und deshalb durchaus gesunde und alters­ge­rechte Reaktionen.

Die Hirn­reife spielt eine wich­tige Rolle

Diese Verhal­tens­weisen sind wiederum für uns Eltern schwer auszu­halten. Deshalb fordern wir Eltern gerne von unserem Kind, auf Frust ruhig und besonnen zu reagieren. Damit fordern wir etwas von ihm, wozu sein Gehirn oft noch gar nicht im Stande ist. Die grösste Entwick­lung in dieser Hinsicht passiert in der Auto­no­mie­phase (ca. 1–3 Jahre) und in der Wackel­zahn­pu­bertät (6–8 Jahre. Im Umgang mit diesem zwar alters­ge­rechten aber nerven­auf­rei­benden Verhalten ist es hilf­reich, sich als Eltern bewusst zu machen: «Das Kind handeln nie gegen mich, sondern für sich.»

Ganz ausge­reift ist der Teil im Gehirn, der die Impulse steuert erst mit ca. 24 Jahren. Bis dahin haben viele Erwach­senen gelernt, ihre Impulse zu kontrol­lieren und ihre Gefühle zu regu­lieren. Deshalb werfen wir uns nicht auf den Boden, wenn der Lieb­lings­keks ausver­kauft ist. Auch uns kann es aller­dings passieren, dass wir statt­dessen den Verkäufer anschnauzen, beson­ders, wenn wir gestresst sind und unsere Frus­tra­tion deshalb gerade nicht gut regu­liert bekommen. Noch viel schneller passieren uns solche Verhal­tens­muster in der Familie. Das kommt daher, dass wir bei der Arbeit viel­fach mehr über den Verstand als über unsere Gefühle funk­tio­nieren, in der Familie eher umge­kehrt. Hier werden Emotionen viel schneller akti­viert, oft auch solche aus längst vergan­genen Jahren.

Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz ist nicht uner­schöpf­lich vorhanden

Frage ich Eltern, warum sie denken, dass ihr Kind eine kleine Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz hat, stellt sich manchmal heraus, dass das Kind in der Kita, im Kinder­garten oder in der Schule sehr wohl schon gut mit Frust umgehen kann. Von den Lehr- und Betreu­ungs­per­sonen hören die Eltern jeden­falls nicht, dass das Kind schnell frus­triert ist. Das bedeutet, dass das Kind tags­über in seinem Tages­ge­schehen schon einigen Frust aushalten kann. So muss es zum Beispiel oft warten, Konflikte austragen und klären, seine Bedürf­nisse aufschieben, sich in der Gruppe an Regeln halten, damit klar­kommen, dass der Freund besser zeichnen oder schneller rennen kann als es usw. Kommt das Kind dann nach­hause, braucht es Eltern, die die präsent sind, Eltern, die seinen emotional anstren­genden Tag aner­kennen. Es braucht Eltern, die verstehen, dass seine Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz und Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft für den Moment aufge­braucht ist und es nicht in der Lage ist, weitere Frus­tra­ti­ons­mo­mente auszu­halten. Das Kind braucht jetzt zuerst, dass seine verschie­denen Bedürf­nisse befrie­digt werden, damit es seinen Koope­ra­ti­ons­tank wieder füllen kann. Kennen Sie das nicht auch von sich selbst? Reagieren Sie gleich geduldig nach einem anstren­genden Arbeitstag wie nach einem entspannten Feri­entag? Auch die Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz von uns Erwach­senen ist begrenzt. Auch wir brau­chen Koope­ra­ti­ons­pausen und müssen uns um die Erfül­lung unserer Bedürf­nisse kümmern, um mit frus­trie­renden Momenten konstruktiv umgehen zu können.

Wenn Sie sich dies immer wieder bewusst machen, werden Sie das Verhalten Ihres Kindes viel gelas­sener begleiten können. Im nächsten Artikel (in ein paar Wochen) folgen einige konkrete Anre­gungen, wie Sie Ihr Kind aktiv dabei unter­stützen können, seine Frus­tra­ti­ons­to­le­rant zu entwi­ckeln bzw. zu erweitern.

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