Wie Kinder lernen, konstruktiv mit ihrer Wut umzugehen

"Tut Wut gut?" Umgang mit Aggression, www.mayarisch.ch

Begleiten statt beschwichtigen

Artikel erstmals erschienen im November 2023 auf familienleben.ch

Wenn unser Kind wütend wird, versuchen wir oft, es zu beschwichtigen oder zurechtzuweisen. So bewirken wir vor allem eins: Es lernt, dass seine Wut nicht akzeptabel oder erwünscht ist. Dabei ist Wut ein wichtiges (und richtiges) Gefühl, das uns antreibt, aber auch Grenzen aufzeigt. Warum wir eigene Erfahrungen hinterfragen müssen, um unseren Kindern einen gesunden Umgang mit ihrer Wut zu ermöglichen. 

Maya Risch

Wenn es Zähne putzen oder aufräumen sollte, mitten im Spiel oder am Mittagstisch: Hat dein Kind auch oft – gefühlt aus dem Nichts – einen Wutanfall und wird dabei vielleicht sogar aggressiv? Mit solchen Situationen umzugehen, stellt für viele Eltern, aber auch für pädagogische Fachpersonen, immer wieder eine grosse Herausforderung dar. Unter anderem auch, weil wir als Erwachsene wissen, wie aus Wut schnell Gewalt oder Schmerz entstehen kann. Und genau davor wollen wir unsere Kinder ja schützen…

Es ist verständlich und richtig, dass Eltern und Fachleute Kinder vor Gewalt schützen (wollen). In dieser Sorge passiert es aber leider oft, dass wir Erwachsenen nicht nur Gewalt fernhalten, sondern auch Wut und aggressives Verhalten. Dabei sind dies Grundgefühle. Gefühle, die ihren Platz brauchen und ihre Berechtigung haben. 

Gefühle auszuhalten ist für Eltern oft schwierig

Babies kommen mit einer eigenen Persönlichkeit zur Welt. Schon sehr bald zeigen sie alle Grundgefühle – Freude, Angst, Wut und Trauer. Sie zeigen auch Schmerzempfinden, Frustration und erste Bedürfnisse wie Hunger und Durst oder jenes nach Nähe und Distanz. Durch die Reaktionen ihrer engsten Bezugspersonen lernen sie, dass es in Ordnung ist, gewisse Gefühle zu zeigen, andere aber nicht. Sie erfahren so, welche Anteile ihrer Persönlichkeit in ihrer Familie angenommen werden, also da sein dürfen, und welche nicht. 

Denn wird unser Kind wütend und drückt dies lautstark – manchmal auch mit Hilfe seines ganzen Körpers – aus, fällt es uns Erwachsenen oft schwer, das Kind mit diesen Gefühlen anzunehmen und ihm beizustehen. Stattdessen weisen wir es zurecht, versuchen es zu besänftigen oder abzulenken.

Erfahrungen in der Kindheit prägen unser Verhalten

Unser Verhalten hat seine Gründe: Viele von uns fühlen sich hilflos, weil wir selber nicht gelernt haben, konstruktiv mit Wut umzugehen und so keine Modelle für einen konstruktiven Umgang hatten. Auch eigene schmerzhafte Erfahrungen mit Wut, als wir selber Kinder waren, spielen eine wichtige Rolle: Weil wir Eltern oder Lehrpersonen hatten, die destruktiv, und gewaltvoll mit Wut umgegangen sind. Oder weil unsere Wut abgeklemmt wurde und wir uns allein gelassen, unverstanden fühlten mit unserer Wut. 

Solche Erfahrungen beeinflussen, wie wir heute auf Wut reagieren. Dies führt oft dazu, dass wir Wut und aggressives Verhalten unserer Kinder ablehnen, schwer aushalten oder ihnen dieses aberziehen wollen. Das ist schade, denn Wut ist wichtig für uns alle. Sie ist ein Signal, das uns zeigt, dass eine Grenze überschritten wurde.

Wütende Kinder brauchen Begleitung

Für Kinder, besonders Kleinkinder, ist das Gefühl von Wut oft überwältigend. Sie verstehen selber noch nicht, was da mit ihnen passiert. Reagieren Eltern, Lehrpersonen oder andere enge Bezugspersonen auf Wutausbrüche mit moralischen Vorwürfen wie: «Kannst du nicht normal reagieren!» oder «Geh in dein Zimmer! Du kannst wieder zu uns kommen, wenn du dich beruhigt hast», dann erfahren Kinder dies als Abweisung und folgern, dass Wut offenbar falsch ist und sie Wut nicht zeigen dürfen. So werden sie mit diesem Gefühl alleingelassen und können nicht lernen, dieses Gefühl konstruktiv zu regulieren.

Mit der Zeit verlieren Kinder so den Zugang zu ihrer Wut, lehnen dieses Gefühl ab und unterdrücken es, so dass sich die Wut gegen innen richtet oder irgendwann explosiv ausbricht. Jedenfalls wird dadurch die Persönlichkeit des Kindes beschnitten.

Wut ist ein wichtiges Signal

Der Verlust des Zugangs zur eigenen Wut bedeutet einen Verlust an wichtiger Lebensenergie. Denn Wut ist eine Kraft, die uns hilft, für uns und unsere Wünsche und Werte einzustehen und Ziele zu erreichen. Es ist ein Gefühl, das uns zeigt, wenn eine Grenze überschritten wurde und es uns nicht gut geht. Wut ist ein Signal, das uns darauf aufmerksam macht, dass etwas ins Ungleichgewicht geraten ist.

Es ist deshalb für Kinder und Erwachsene wichtig, einen konstruktiven Umgang mit Wut und Aggression zu erlernen.

Was hinter wütendem Verhalten alles verborgen sein kann, darüber gibt es hier mehr zu lesen.

So lernen Kinder, Wut zu benennen und zu regulieren

1 Damit Kinder einen konstruktiven Umgang mit starken Gefühlen wie Wut und Frust lernen, benötigen sie vor allem Erwachsene, die ihr eigenes Empfinden benennen. Sie geben dem Kind so die Worte, dies es braucht, um seine eigenen Gefühle zu verstehen und zu benennen. 

2 Dann brauchen Kinder jemanden, der für sie da ist, wenn sie wütend sind. Und zwar mit der Haltung: «Ich sehe, du bist ganz aufgeregt und wütend, das ist in Ordnung. Komm steig zu mir in den Lift ein, wir fahren wieder zusammen runter». Dies wird in der Fachsprache auch Co-Regulation genannt.

3 So können Kinder in einem weiteren Schritt Strategien zur eigenen Gefühlsregulierung erlernen. Sie lernen, dass es andere Möglichkeiten gibt, als in ihrer Wut andere zu schlagen oder Dinge herumzuwerfen. Beim erlernen solcher Strategien spielt die Reife des Gehirns der Kinder sowie ihre motorische Entwicklung und Selbststeuerung eine wichtige Rolle.

Erste Strategien entstehen im Baby-Alter

Übrigens: Als Babies regulieren sich Kinder mittels schreien, weinen und saugen. Dies sind erste Strategien, mit starken Gefühlen, wie Wut und Frust umzugehen. Sie benötigen dann Erwachsene, die aufmerksam und achtsam da sind und zuhören, reagieren und ihnen zeitnah helfen, sich wieder zu beruhigen, indem sie das Kind in den Arm nehmen, neben ihm sitzen oder es wiegen, schaukeln, ihm die Brust oder den Nuggi anbieten. 

Gefühle spielerisch zum Thema machen: So geht’s

Weiter können folgende Ideen dabei helfen, damit Kinder weitere Strategien lernen, um einen konstruktiven Umgang mit Wut zu finden.

  • Gefühlsbilder zu Hause aufhängen und besprechen, wenn sich das entsprechende Gefühl zeigt. Dies gilt natürlich auch für die Eltern.
  • Bilder von Gefühlen (z.B. Gefühlsrad mit vier Gefühlen für kleine Kinder, mit sechs bis zehn für ältere) aufhängen und mithilfe einer Wäscheklammer dem Kind die Möglichkeit geben, ein Gefühlsbild «anzuklammern» und so ohne Worte zu zeigen, wie es ihm geht.
  • Bilderbücher zum Thema sind wunderbar dafür geeignet, mit Kindern ins Gespräch zu kommen. Hier ein paar Ideen dazu: («Wenn ich wütend bin», «Kleiner Drache, grosse Wut»)
  • Mehr Ideen für Strategien sind hier zu finden: Zum Artikel.

Unsicherheiten, Konflikte und Schwierigkeiten sind normal – sich darum zu kümmern auch

Wenn das Gehirn im Umbau steckt

Artikel in der Andelfinger Zeitung

Am letzten Donnerstag, 2.11.23 durfte ich in der Sekundarschule Uhwiesen einen Abend zum Thema “Hilfe, mein Kind ist kein Kind mehr!” – mit Jugendlichen im Kontakt bleiben gestalten. Jasmin Beetschen von der Andelfinger Zeitung war dabei und hat diesen Artikel hier dazu verfasst. Wie zufrieden waren die Eltern und die OrganisatorInnen mit dem Abend?

Wenn dein Kind nicht nur das Spiel, sondern komplett die Fassung verliert – Interview mit Maya Risch

Martin Rupf

Martin Rupf

07.03.2022 erschienen auf GALAXUS

Jede Familie kann ein Lied davon singen: Ein eigentlich harmonisch angedachter Spielnachmittag endet in Wutausbruch und schlechter Stimmung, weil der Sohnemann oder die Tochter verloren hat. Die Erziehungsberaterin Maya Risch verrät im Gespräch, weshalb verlieren gelernt sein will und wann es ok ist, seine Kinder extra gewinnen zu lassen.

Endlich hat es wieder einmal geklappt: Die ganze Familie hat sich um den grossen Esstisch im Wohnzimmer versammelt. Auf dem Tisch stehen Gesellschaftsspiel, Snacks und Getränke bereit. Alles ist angerichtet für einen gemütlichen Spielenachmittag im Kreis seiner Liebsten. Und dann das: Nach nicht einmal einer halben Stunde löst sich die Familienidylle jäh in Luft auf. Wutentbrannt wischt der Sohn seine Spielfiguren vom Tisch und rennt schreiend in sein Zimmer. Das laute Türknallen setzt dann den akustischen Schlusspunkt unter diesen Sonntagnachmittag, der so harmonisch angedacht war.

Dir kommt diese Schilderung bekannt vor? Kein Wunder: Wir alle können ein Lied von Spielrunden singen, die in Streit und schlechter Stimmung geendet haben, weil einer in der Runde – schlimmstenfalls du selber – partout nicht verlieren konnte. Vor allem, wenn Kinder wortwörtlich mit von der Partie sind, kann es schnell hitzig werden. Der Grund: Kinder müssen in der Regel erst verlieren lernen. Maya Risch, Erziehungsberaterin und zweifache Mutter zweier Söhne im Teenageralter, verrät im Interview, weshalb verlieren gelernt sein will, ob es in Ordnung ist, seine Kinder extra verlieren zu lassen und ob sie sich selber als gute Verliererin bezeichnen würde.

Maya Risch, Sie selber haben zwei Söhne. Können diese beide gleich gut verlieren?
Maya Risch: Nein (lacht). Während es dem Jüngeren leichter fiel, tat sich der Ältere mit Verlieren schwer. Ich verwende bewusst die Vergangenheitsform, denn das war so, als sie noch Kinder waren. Inzwischen hat auch mein Älterer – vor allem dank Mannschaftssport – verlieren gelernt.

Wieso können die einen Kinder besser verlieren als andere?
Ich denke, es verhält sich beim Verlieren wie mit anderen Charaktereigenschaften. Sprich, jeder bringt andere Persönlichkeitseigenschaften mit. Ich erlebe das auch bei meiner Arbeit als Kindergartenlehrperson. Es gibt auf der einen Seite sehr kompetitive Kinder, auf der anderen Seite Kinder, denen gewinnen schlicht nicht so wichtig ist.

Was zur Frage führt, bis zu welchem Grad es sich um gesunden Ehrgeiz handelt und ab wann sich diese kompetitive Ausprägung negativ auswirkt?
Richtig, es gibt einen gesunden Ehrgeiz, der uns antreibt, erfolgreich zu sein und Ziele zu erreichen. Ungesund wird es dann, wenn das Gewinnenwollen zum Lebensinhalt wird. Wenn also das ganze Selbstwertgefühl davon abhängt, immer der Sieger sein zu müssen.

Wovon raten Sie Eltern dringend ab, wenn ein Kind während eines Spiels austickt und wütend wird?
Generell habe ich festgestellt, dass ich als Kindergartenlehrperson viel besser mit wütenden Kindern umgehen kann, als dies bei meinen eigenen Kindern der Fall war. Das liegt daran, dass uns Emotionen in nahen Beziehungen schneller stark bewegen und wir Eltern an die eigenen Kinder mehr Erwartungen und Vorstellungen haben, wie sie sich zu verhalten haben. Wird ein Kind während eines Spiels wütend, sollte man es natürlich auf keinen Fall auslachen, anschreien, abwerten oder geschweige denn bestrafen.

Also eher trösten?
Kommt darauf an, was sie darunter verstehen. Sätze wie «hey, das ist doch nur ein Spiel» machen die Sache eher noch schlimmer, weil sich das Kind nicht ernst genommen fühlt. Denn ist ein Kind erst mal wütend, erreichen wir es mit rationalen Argumenten nicht mehr. Es ist hilfreicher, dem Kind Worte zu geben, um seine Gefühle zu benennen.

Ist ein Kind erst einmal traurig oder wütend, will es von seinen Eltern ernst genommen werden.
Ist ein Kind erst einmal traurig oder wütend, will es von seinen Eltern ernst genommen werden.

Was wäre denn der richtige Ansatz?
Auch ich habe oft nicht optimal reagiert und würde heute das eine oder andere anders angehen. Das Hauptproblem ist die Erwartungshaltung – nämlich eine schöne Zeit mit der Familie zu haben. Wenn dieses Zusammensein dann wieder im Streit endet, ist die Enttäuschung gross. Wenn wir aber damit rechnen, dass Kinder auch Frustration zeigen könnten und dass das dazugehört, sind wir in einer besseren Ausgangslage.

Aber Wutausbruch bleibt auch dann Wutausbruch. Wie verhalte ich mich richtig als Eltern?
Erst einmal sollte man versuchen, als Eltern ruhig zu bleiben. Hier ist unsere eigene Selbstregulation gefragt. Ruhig bleiben gelingt uns dann einfacher, wenn wir uns bewusst sind, dass sich unser Kind noch nicht gut regulieren kann und wir in einem gewissen Sinne auch eine Blitzableiterfunktion haben. Grundsätzlich sollten wir unseren Kindern vermitteln, dass es ok ist, zu verlieren und dass sie deswegen nicht weniger wert sind.

Und wie können wir das unseren Kindern konkret vermitteln?
Da gibt es sicher viele Möglichkeiten. Ein Weg könnte sein, in einem ruhigen Moment das Gewinnen und das verlieren zu thematisieren und unsere Haltung dazu klar zu machen. Nämlich, dass beides zum Leben gehört und es nichts mit uns als Person zu tun. Zum Teil ist es schlicht einfach Glück oder Pech, wer verliert.

“Ungesund wird es dann, wenn das Gewinnen wollen zum Lebensinhalt wird.”

Maya Risch

Ich selber bin ein miserabler Verlierer. Wie wichtig sind Eltern als Vorbilder?
Es ist wie bei allem: Besonders kleine Kinder lernen durch Nachahmung, indem sie von ihren Eltern ganz viel abschauen. Dasselbe gilt fürs Spielen. Wenn wir verlieren und dabei trotzdem cool bleiben, kann das auf unsere Kinder nachhaltig Eindruck machen und sie erhalten ein Modell dafür, wie das gehen könnte.

Ist es ok, seine Kinder extra gewinnen zu lassen?
Das hängt von verschiedenen Faktoren wie der Art des Spiels, dem Alter oder der Situation ab. Nehmen wir etwa Fussball: Erwachsene sind Kindern in allen Belangen überlegen. Wenn wir Kinder dabei nicht auch einmal gewinnen lassen, laufen wir Gefahr, dass sie die Lust am Spiel verlieren. Bei Spielen hingegen, bei denen der Faktor Zufall einen grossen Einfluss auf Sieg oder Niederlage hat, finde ich es nicht sinnvoll, seine Kinder extra gewinnen zu lassen. Auf keinen Fall darf das Motiv zum «Nachhelfen» die Konfliktvermeidung sein. Denn verlieren soll und muss gelernt sein.

Wieso eigentlich?
Anlässlich dieses Interviews habe ich genau dieselbe Frage meinem 13-jährigen Sohn gestellt. Er hat geantwortet, dass man keine Freunde mehr haben wird, wenn man nicht gelernt hat, zu verlieren. Damit hat er recht. Verlieren zu können, bedeutet, über eine hohe Frustrationstoleranz und über eine gute Selbstkontrolle zu verfügen. Eigenschaften, auf die man in seinem Leben immer wieder angewiesen ist. Letztlich geht es darum, sich von Niederlagen und Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen und weiter zu machen. Auch fällt es uns grundsätzlich leichter, uns auf Neues einzulassen, wenn wir uns nicht vor dem Scheitern fürchten.

Sie sind seit 20 Jahren als Kindergartenlehrerin tätig. Können Kinder heute besser oder schlechter verlieren als früher?
Diesbezüglich eine Aussage zu machen, ist schwierig. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sich Kinder und Jugendliche heutzutage schwerertun mit Verlieren.

Weshalb?
Die Digitalisierung führt dazu, dass der Mensch bequemer wird. Er ist sich gewohnt, dass vieles auf Anhieb – quasi per Knopfdruck – funktioniert. Dadurch kann sich die Frusttoleranz verschlechtern. Auch halte ich es für möglich, dass viele auf Belohnungssystemen aufbauende Computerspiele den Ehrgeiz von Jugendlichen unverhältnismässig ankurbeln können. Aber das ist mehr eine persönliche Vermutung.

Apropos persönlich: Sind sie selber eine gute Verliererin?
Hm, kommt ganz drauf an. Es gibt Spiele, wo ich tatsächlich mehr Mühe habe. Vor allem bei Spielen, wo man sich bekämpfen oder hartnäckig verhandeln muss – wie etwa beim Spiel «Siedler». Viel lieber spiele ich Spiele, wo Kooperation und ein Miteinander gefragt sind. So etwa beim Spiel «Die Crew», bei dem man gemeinsam eine Mission erfüllen muss, oder beim Kartenspiel «Hanabi», bei dem man zusammenspannen muss. Denn darum geht es beim Spielen: Zusammen eine gute Zeit zu haben und die Beziehung zu pflegen.

Du erkennst Dich oder deine Kinder in den oben genannten Situationen selber? Kein Problem: Es gibt sowohl für Kinder wie auch für Erwachsene spannende und vor allem lehrreiche Bücher, wie man ein besserer Verlierer, eine bessere Verliererin wird. Vielleicht ist es höchste Zeit, dass auch ich mich eingehend mit dieser Materie auseinandersetze.

Sind Konsequenzen besser als Strafen? Wie Erziehung ohne Bestrafung wirklich funktioniert

Hier kannst du den Artikel als PDF herunterladen

Viele Eltern versuchen in der Erziehung bewusst, auf Strafen zu verzichten. Vermeintlich. Denn oft drohen sie dann mit Konsequenzen, wenn das Kind nicht gehorcht… und diese Konsequenzen sind nichts anders als eine Bestrafung. Familienberaterin Maya Risch zeigt in ihrem Beitrag auf, wie man das Kind natürliche Konsequenzen erleben lässt und erfolgreich persönliche Grenzen zieht. Für eine Erziehung, die wirklich ohne Strafen auskommt.  (Dieser Einleitungstext ist von Anina Peter)

(Erschienen September 2023 auf www.familienleben.ch)

Maya Risch

Jetzt ist aber genug! Das hat Konsequenzen!» Kommt dir der Satz bekannt vor? Die meisten Eltern wollen heute ihre Kinder zu selbständig denkenden Menschen erziehen. Ein Grund, warum viele Eltern auch keine Strafen mehr einsetzen wollen. Reagiert das Kind dann allerdings nicht auf Anweisungen oder Grenzen, die die Eltern ziehen, wissen viele nicht mehr weiter.

Dann beginnen die meisten mit Konsequenzen zu drohen: Keine Bildschirmzeit, kein Dessert, kein Besuch bei den Freunden. Doch inwiefern unterscheiden sich diese angedrohten Konsequenzen denn von den herkömmlichen Strafen? Ist es nicht genau dasselbe – einfach mit neuem Namen, weil Strafen halt nicht mehr salonfähig sind?

Keine Aktion ohne Konsequenzen

Bei den oben aufgeführten Beispielen ist genau dies der Fall. Das Ziel ist, dem Kind «Schmerzen» zuzufügen, damit es lernt, sich beim nächsten Mal richtig zu benehmen. Warum ich dies nicht mehr zeitgemäss und sinnvoll finde und wie man solche Konflikte löst, erkläre ich übrigens in diesem Artikel.

Natürliche Konsequenzen werten das Kind nicht ab. Es lernt durch die Folgen, was richtig ist.

Aber wie sollen Kinder denn lernen, was richtig ist und was nicht – so ganz ohne Konsequenzen? Die Annahmen ist ein Trugschluss. Denn eine Aktion ohne Konsequenzen gibt es nicht: Es gibt immer Konsequenzen, die das Kind erfährt. Konsequenzen, die aber keine Strafen sind. Das sind auf der einen Seite die natürlichen Konsequenzen. Damit meine ich Folgen, die von selbst eintreten. Und andererseits gibt es Konsequenzen, die aus persönlichen Grenzen des Gegenübers entstehen.

Zwei Beispiele solcher natürlicher Konsequenzen:

  1. Unser Sohn, damals vier Jahre alt, wollte keine Handschuhe anziehen, um im Schnee zu spielen. Er ging ohne Handschuhe nach draussen. Die natürliche Konsequenz war: Er bekam bald sehr kalte Hände, weinte und musste aufhören im Schnee zu spielen.
  2. Eine sehr ähnliche Konsequenz erlebte er, als er sich an einem kalten Regentag weigerte, seine Regenjacke anzuziehen. Er kam durchnässt und frierend nach Hause.

Ein Kind, das beim Rennen umfällt, hat bereits die natürliche Konsequenz erlebt und braucht jetzt Trost und ein Pflaster, keine Schuldzuweisung oder Belehrung.

Kaum ein Kind hört auf die Warnung: «Renn nicht so schnell, du fällst sonst um und tust dir weh.» Fällt es dann tatsächlich hin und schlägt sich das Knie auf, sollten wir uns verkneifen, es zu belehren mit Aussagen wie: «Ich hab dir doch gesagt, dass …» oder «Selber schuld, hättest du auf mich gehört….». Das Kind hat bereits die natürliche Konsequenz erlebt und braucht jetzt Trost und ein Pflaster, keine Schuldzuweisung. Jesper Juul verweist darauf, dass der Boden ein guter Lehrmeister ist: Das Kind erlebt direkte Konsequenzen, ohne beschuldigt oder abgewertet zu werden.

Kinder sollen eigene Erfahrungen machen

Wenn wir Kinder die Folgen ihres Handelns erleben lassen, also natürliche Konsequenzen zulassen, machen Kinder Erfahrungen. Diese können wir später gemeinsam besprechen. So lernt das Kind etwas über die Welt und auch über sich selber. So hat zum Beispiel unser Sohn angefangen, freiwillig Handschuhe mitzunehmen, nachdem er festgestellt hat, dass die Hände im Schnee zu kalt werden, um Spass zu haben und zu spielen. 

Was aber geschieht, wenn ein Verhalten keine natürlichen Konsequenzen hat oder solche, die zu gefährlich sind, um sie das Kind erleben zulassen? Wie zum Beispiel im Strassenverkehr: Das Kind will dem Vater beim Überqueren der Strasse nicht die Hand geben und loslaufen, obwohl die Ampel auf rot steht. In dieser Situation muss der Vater als Erwachsener das Kind schützen, notfalls auch, indem er das Kind physisch stoppt oder kurz festhält.

Nicht in jeder Situation, in der das Kind nicht auf das hört, was wir ihm sagen, entsteht eine natürliche Konsequenz. Trotzdem kann das Kind in diesen Situationen Konsequenzen erleben, die keine Strafen sind. Diese entstehen, wenn das Gegenüber eine persönliche Grenze zieht.

Persönliche Grenzen kommunizieren statt drohen

Nehmen wir als Beispiel eine Mutter, die ihren drei Kindern vor dem Einschlafen eine Geschichte vorliest. Die Kinder beginnen, herumzutoben und sich gegenseitig anzustacheln, anstatt zuzuhören. Das «Hört auf!» der Mutter verhallt, ohne dass etwas sich ändert. Die Mutter könnte nun eine Strafe androhen: «Wenn ihr nicht aufhört zu streiten, gibt es keine Geschichte!» Die Kinder werden in diesem Fall bestraft, weil sie sich nicht richtig benehmen. Die Mutter vermittelt den Kindern, dass sie sich schuldig fühlen und womöglich schämen sollen. Sie macht die Kinder für ihr Verhalten und die Strafe verantwortlich.

Die Situation könnte aber auch wie folgt gelöst werden: Die Mutter hält inne und sagt den Kindern: «Mich stört euer Streit, ich werde ganz unruhig und so mag ich nicht weiter vorlesen. Wie ist es bei euch? Wollt ihr die Geschichte hören?» Entscheiden sich die Kinder fürs Zuhören und der Streit geht trotzdem weiter, kann die Mutter ihre persönliche Grenze klar machen: «Tut mir leid, so mag ich nicht weiter vorlesen. Kann ich etwas dafür tun, damit der Streit aufhört?» Wenn auch das nicht funktioniert, beendet die Mutter das Vorlesen: «So mag ich wirklich nicht mehr. Ich lese euch ein andermal weiter vor. Damit ich euch gleich ins Bett begleiten kann, gehe ich kurz raus, um mich zu beruhigen. Denn ich bin gerade genervt. Gleich bin ich wieder für euch da.»

Kinder erleben, dass ihr Verhalten Einfluss auf das Wohlergehen anderer hat.

Die Kinder erleben so, dass sie mit ihrem Verhalten einen Einfluss auf die Mutter haben. Sie reagiert auf ihr Verhalten, fragt nach, meldet zurück, wie es ihr damit geht und zieht dann ihre persönliche Grenze: Sie übernimmt Verantwortung für ihre Gefühle und sorgt dafür, dass es ihr wieder gut geht. Das Kind erlebt als Folge dieser persönlichen Grenze, dass die Geschichte gerade nicht weitergeht, allerdings ohne Drohung, Beschuldigung oder Beschämung.

Grenzen ziehen: Anstrengend – aber lohnenswert

Der Unterschied zwischen einer als Konsequenz getarnten Strafe und einer Konsequenz als Resultat einer persönlichen Grenze ist fein. Er ist aber für das Kind spürbar und entscheidend für die Beziehungsqualität zwischen den Eltern und den Kindern. Es ist vor allem eine Frage unserer elterlichen Haltung und Sprache. Und auch eine Frage unserer Energie: Wenn wir müde und ausgelaugt sind, greifen wir viel häufiger zur Strafandrohung, anstatt eine persönliche Grenze zu ziehen. Dies, da Letzteres viel schwieriger und vielleicht auch ungewohnt ist. Aber jede Situation, in der wir es schaffen, den anstrengenderen Weg zu gehen, ist ein Gewinn für das Kind. Unsere Beziehung zu ihm kann sich so optimal und gesund weiterentwickeln. 

Glaubenssätze in der Erziehung, die uns prägen. Dazu durfte ich als eine der ExpertInnen im ElternMagazin Fritz+Fränzi vom April 2023 Stellung nehmen

Glaubenssätze in der Erziehung Maya Risch www.mayarisch.ch
  • Nr. 1: Um ein Kind zu erziehen braucht es ein ganzes Dorf
  • Nr. 2: Strafe muss sein – und erwüschtes Verhalten muss belohnt werden
  • Nr. 14: Bis Kinder 12 Jahre alt sind, kann man sie erziehen, Danach nicht mehr.
  • Nr. 15: Das Gras wäscht nicht schneller, wenn man daran zieht
  • Nr. 19: Eltern müssen am selben Strick ziehen

Das ganze Dossier lesen

Warum syt dir so hässig? Das Eltern-Paradoxon: Die Kinder über alles lieben – und wütend auf sie sein

Zitierter Ausschnitt aus dem Artikel von Anita Blumer, Journalistin beim Tagesanzeiger, erschienen im Magazin des Tagesanzeigers am 11. März 2023, in diesem wird mein Workshop “Tut Wut gut?” und ich als Kursleiterin erwähnt.

Risikofaktor – Tabu

Wut und Aggressionen sind potenziell gefährlich und haben keinen Platz in unserer Gesellschaft. Dass das problematisch ist, erklärte der mittlerweile verstorbene Erziehungswissenschaftler Jesper Juul in seinem Buch «Aggression. Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist». Wenn wir negative Gefühle wie Wut, Aggression,Frustration und Hass tabuisieren, lernen wir nicht, damit umzugehen.Wenn mein Kind wütend wird, will ich, dass es sich so schnell wie möglich beruhigt. Obwohl ich denke, dass ich gerade alles tue, um meinem Kind zu helfen, geht es eigentlich um mich: Ich halte seine Wut nicht aus.

Ich habe eine Erinnerung an meine eigene kindliche Wut. Ich hatte Haselnüsse gesammelt und wollte sie meiner Mutter zeigen. Ich stand unter dem Küchenfenster, und sie sagte, sie komme gleich. Das Warten fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Ich wurde wütend und warf die Haselnüsse ins Gras. Kurz darauf schaute meine Mutter aus dem Fenster. Als ich ihr sagte, dass ich die Nüsse weggeworfen hatte, gab sie einen genervten Kommentar ab und schloss das Fenster. Ich bereute meine Wut. Jetzt hatte ich nicht nur die Haselnüsse verloren, sondern auch die Aufmerksamkeit meiner Mutter, die mir doch so wichtig gewesen war.

In meiner Familie ging man nicht konstruktiv mit negativen Gefühlen um. So wie in den meisten Familien zu jener Zeit. «Sei nicht traurig! Nicht weinen!» Das waren tröstende Worte in meiner Kindheit. Heute sagt man: «Ich verstehe, dass du traurig bist. Gell, es tut gut zu weinen.» Aber dieses «Sei nicht traurig!» wirkt immer noch nach. Und das «Ich verstehe, dass du traurig bist» fühlt sich manchmal künstlich an.

Samstagvormittag in Oerlikon. Zusammen mit neun Müttern und einem Vater besuche ich einen Eltern-Workshop zum Thema. Schon die Vorstellungsrunde ist sehr emotional. Während wir einander von unseren Überforderungen berichten, fällt vieles von uns ab. Der Austausch mit anderen Eltern in diesem geschützten Rahmen tut gut. Viele Eltern glauben, dass sie mit ihren Problemen die Ausnahme sind und es bei allen anderen super läuft. Sie schämen sich für ihre Wutausbrüche und haben das Gefühl, zu versagen. Wir reflektieren schwierige Situationen mit unseren Kindern und versuchen zu ergründen, wie unsere Haltung mit dem Verhalten der Kinder zusammenhängt.

Oft sind wir angespannt, weil wir denken, dass das Kind sich in einer bestimmten Situation widersetzen wird. Es sei wichtig, sagt Kursleiterin Maya Risch, den Blick auf das Kind immer wieder freizumachen von alten Vorurteilen und ihm offen und neugierig zu begegnen. Sich zu fragen: Wer bist du eigentlich? Und: Was willst du mir mitteilen?

Viele Eltern versuchen einen bedürfnisorientierten, empathischen und liebevollen Erziehungsstil zu praktizieren, den sie so selbst nicht erlebt haben. Sie wissen, dass es gesund und wichtig ist, wenn Kinder sich vehement für ihre Interessen einsetzen. Aber intuitiv wehren sie sich gegen dieses Verhalten und greifen auf Muster zurück, die ihnen aus der eigenen Kindheit vertraut sind. Das Kind soll aufhören, brav sein, kein Theater machen. Eigentlich wünschen wir uns noch immer, dass unsere Kinder sich einfach benehmen und machen, was wir ihnen sagen.”

Den ganzen Artikel könnt ihr online beim Tagesanzeiger lesen, allerdings leider nur über ein Probeabo, da er hiner einer Paywall erschienen ist.

Geschwisterkinder – ein Gespräch auf Youtube

Wenn Kinder ein Geschwister bekommen, entwickeln sie manchmal Eifersucht auf das kleine Geschwisterkind. Was ist Eifersucht eigentlich für ein Gefühl?

Vielen Dank, dass du mich zu diesem Gespräch eingeladen hast, liebe Eva Gruhnwald von https://www.wurzelnundwachsen.ch/.

Mit einem Klick auf “Mehr anzeigen” (Auf Youtube) können auch einzelne Kapitel angeschaut werden. Zum Beispiel die Top-Tipps, gegen Ende des Videos.

Über den Sinn und Unsinn von Strafen: Wenn das Kind nicht tut, was ich von ihm will

Sinn und Unsinn von Strafen Bestrafung und Belohnung sind überholte Tools in der Erziehung

«Belohnung und Bestrafung gehören ins Museum, sie sind nicht mehr zeitgemäss.»
Christine Ordnung, Leiterin des Deutsch-Dänischen Instituts für Familientherapie und Beratung in Berlin

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Von Maya Risch
erschienen im Onlinemagazin Familienleben.ch im November 2022

Thomas, bitte räum jetzt dein Zimmer auf, hier sieht es ja schrecklich unordentlich aus.» «Keine Lust!» Mutter: «Ich will aber, dass du das jetzt machst!» «Na gut.» Eine halbe Stunde später: «Thomas, du hast ja noch immer nicht aufgeräumt!» Thomas: «Ich will nicht, ich mach es ein andermal.» «Donnerwetter nochmal, jetzt ist aber Schluss! Immer verschiebst du alles was du tun solltest. Wenn du jetzt nicht sofort aufräumst, ist die Bildschirmzeit heute gestrichen!»

Eine Kombination aus Hilflosigkeit und eigene Erfahrung

Wer kennt sie nicht aus eigener Erfahrung, solche Situationen? Wenn das Kind quengelt und bockt, nicht gehorcht oder nicht zuhört, wissen sich viele Eltern nicht zu helfen. Sie drohen mit Strafen wie Hausarrest, Handyverbot oder Sackgeldkürzungen. Die meisten von uns Eltern verfallen ab und zu in dieses Muster – auch wenn wir dies eigentlich gar nicht gut finden. Es geschieht aus einem Gefühl der Hilflosigkeit. Wir wissen uns einfach nicht mehr anders zu helfen. Das ist auch verständlich: Die meisten haben als Kind erlebt, wie sich ihre Eltern auf diese Art durchgesetzt haben.

«Belohnung und Bestrafung gehören ins Museum, sie sind nicht mehr zeitgemäss.»
Christine Ordnung, Leiterin des Deutsch-Dänischen Instituts für Familientherapie und Beratung in Berlin

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Sicht auf Kinder und auf deren Erziehung jedoch sehr verändert. Früher war man der Ansicht, dass Kinder wie ein unbeschriebenes Blatt zur Welt kommen und die Eltern und LehrerInnen sie formen, zum Guten erziehen und konditionieren müssen. Im Fokus der Gesellschaft und Erziehung war es, gehorsame Kinder zu formen, die gut funktionieren. Und dafür sind Angstmache, Androhung von Strafen sowie Bestrafung und Belohnung hilfreiche und notwendige Mittel.

Kinder brauchen jemanden, der ihre Bedürfnisse erkennt

Diese Art von Erziehung ist jedoch aus der Perspektive der Kinder nicht nur schmerzhaft, sondern auch nicht nachhaltig. Menschen können sich und ihr Verhalten nur dann nachhaltig verändern, wenn sie das auch wollen. Wir haben nicht die Macht, andere Menschen zu verändern.
Gemäss dem heutigen Stand der Entwicklungspsychologie und Pädagogik kommen Kinder bereits mit einer eigenen Persönlichkeit auf die Welt. In der ersten Zeit brauchen sie vor allem eines. Nämlich, dass ihre Bedürfnisse möglichst zeitnah erkannt und befriedigt werden. So können sie zu einer verlässlichen einfühlsamen Bezugsperson, die für sie da ist, eine sichere Bindung aufbauen. Dies ist die wichtigste Grundlage für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls, eines Urvertrauens und der Fähigkeit, gesunde Beziehungen aufzubauen.

Kinder wollen mit uns zusammenarbeiten

Babies und Kinder sind von uns Eltern abhängig, sowohl physisch als auch emotional. Sie wollen sich mit uns verbunden fühlen und wollen zur Gemeinschaft dazugehören, in der sie leben. Um das zu erreichen, bringen Kinder von Geburt an eine grosse Bereitschaft mit, mit uns Eltern zusammenarbeiten.

Vermutlich sagen Sie jetzt: «Mein Kind arbeitet aber nicht mit mir zusammen, es tut einfach nicht, was ich ihm sage.» Okay, Ihr Kind ist in dem Fall ungehorsam. Aber heisst das wirklich, dass es nicht bereit ist, mit Ihnen zusammenzuarbeiten? Sehen Sie es auch als mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit an, wenn Sie selber nicht gleich das tun, was Ihr Partner oder Ihre Partnerin gerade von Ihnen will?

Das Verhalten von Kindern ist ein Teil ihrer Sprache

Jesper Juul schreibt: «Das Verhalten der Kinder ist Teil ihres persönlichen Ausdrucks dafür, wie es ihnen mit sich selbst geht, wie sie mit ihrer Familie, dem Kindergarten oder in der Schule zurechtkommen. Und allein deshalb ist es absurd, manches Verhalten zu kritisieren oder zu bestrafen und anderes zu loben oder zu belohnen.»
Betrachten wir kindliches Verhalten als Teil seiner Sprache, wird schnell klar, dass es unsinnig ist, das Kind für sein Verhalten zu belohnen oder zu bestrafen. Schliesslich versucht es nur, uns etwas mitzuteilen. Kinder können sprachlich nicht auf den Punkt bringen, was ihnen fehlt oder was sie stört. Darum kommen sie leider nicht zu uns und sagen: «Hör mal, dass du so oft am Handy bist und mich nicht wirklich wahrnimmst, gefällt mir nicht. Ich fühle mich unwichtig, nicht gesehen, nicht gehört von dir.» Stattdessen zeigen sie uns mit ihrem Verhalten, was sie fühlen – zum Beispiel indem sie nicht tun, was wir ihnen sagen. So zeigen sie, dass sie etwas in ihrem Dasein stört, etwas fehlt oder schwierig ist. Sie sagen auch nicht: «Ich finde es ja ganz nett, dass ich ein Geschwister bekommen habe. Es stört mich aber gewaltig, dass ich eure Liebe jederzeit mit ihm teilen muss, so habe ich mir das nicht vorgestellt.» Stattdessen stören sie uns bei der Pflege des Kleinen, werden vermehrt wütend oder versuchen sonst wie auf ihren Verlust aufmerksam zu machen.

Kindliches Verhalten als Ausdruck des Befindens 

Was lernt ein Kind, wenn wir es in so einem Moment für sein Verhalten bestrafen? Wohl in erster Linie, dass es schmerzhaft ist, für sich selber einzustehen und seine Gefühle auszudrücken. Ein wichtiger Schritt seitens uns Eltern ist schon geleistet, wenn wir uns in solchen Situationen bewusst werden, dass das anstrengende Verhalten unseres Kindes in erster Linie Ausdruck seines (Un-)Wohlbefindens ist und es nicht sein Ziel ist, uns zu provozieren. Indem wir uns nicht angegriffen fühlen und das störende Verhalten nicht persönlich nehmen, schaffen wir die Voraussetzung, um gelassen zu bleiben und dafür zu sorgen, dass die Situation nicht eskaliert.


Das Schweizer Elternmagazin Fritz+Fränzi Eigenverantwortung und Selbständigkeit – so geht’s! 10 Fragen und Antworten von Expertinnen und Experten

Ich freue mich sehr, dass ich im Dossier “Eigenverantwortung” der September 2022 mehrfach erwähnt werde. Danke an Virginia Nolan, die mich zur Mitwirkung dieses Magazins eingeladen und interviewt hat.
Hier ist das Dossier als PDF zugänglich. Meinen Beitrag ist im Fliesstext auf Seite 20 und in der Rubrik “10 Fragen und Antworten von Expertinnen und Experten. auf Seite 30 zu finden.
Das Schweizer Elternmagazin Fritz+Fränzi – Thema Eigenverantwortung

Eifersucht in der Geschwisterbeziehung

Eifersucht in der Geschwisterbeziehung

Von wegen Geschwisterliebe!


Im Gespräch mit Martin Rupf, Senior Editor Digitec Galaxus, Bereich Familie
erstmals erschienen auf Galaxus.ch

Frau Risch, haben Sie Geschwister und wenn ja, wie lief das in Ihrer Kindheit ab?
Maya Risch: Ich habe eine drei Jahre jüngere Schwester. Ich erinnere mich gut, wie ich manchmal eifersüchtig war auf sie und wir deswegen auch immer mal wieder stritten. Auch erinnere ich mich gut daran, dass unsere Mutter die Auseinandersetzungen fast nicht ausgehalten hat und diese unterbinden wollte. Oft bekam ich dabei zu hören; «du bist doch die Grosse, sei doch bitte vernünftig». Das fand ich unfair und es hat meine Eifersucht eher befeuert. Ich hatte dadurch oft den Eindruck, meine kleine Schwester sei die Liebe und von mir wurde erwartet, lieb zu meiner Schwester zu sein. Doch es passierte dann eher das Gegenteil. Sodass ich meine Schwester nämlich öfters hinten herum zu plagen begann.

Wie ist Ihre Beziehung zu ihrer Schwester heute? Schwingt die Eifersucht bis heute nach?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Wir haben beide eine ziemlich unterschiedliche Lebensform gewählt. Wir pflegen Kontakt, auch wenn dieser heute nicht sehr eng ist.

Gibt es eigentlich günstigere und weniger günstigere Konstellationen, die sich auf die Ausprägung der Eifersucht auswirken?
Das ist eine gute Frage, und es wurde auch schon viel darüber geschrieben. So gilt etwa die allgemeine Meinung, dass die Eifersucht unter gleichgeschlechtlichen Geschwistern ausgeprägter ist als zwischen einem Mädchen und einem Buben oder aber auch, dass Geschwister mit einem kleinen Altersunterschied eifersüchtiger aufeinander sind.

Sie sagen es «gilt». Ihre Erfahrung ist also eine andere?
Ja. Ich glaube letztlich steht und fällt die Intensität der Eifersucht mit den Individuen und damit, wie ihr Umfeld mit ihnen interagiert. So hatte ein Freund von mir einen achtjährigen Sohn, als er eine Tochter bekam. Für diesen Sohn war es extrem schwer, neben sich plötzlich eine kleine Prinzessin zu haben – trotz des grossen Altersabstands.

Apropos Platz teilen. Wie wichtig ist es, das Erstgeborene auf die Ankunft seines Geschwisters vorzubereiten?
Diese Vorbereitung ist in der Tat sehr wichtig. Oft stellen Eltern an diese Vorbereitung grosse Ansprüche – auch an die Auffassungsgabe des Erstgeborenen. Wenn wir Eltern aber schon nicht wissen, wie sich die Ankunft des zweiten Kindes auf das Familienleben auswirken wird, wie soll dies dann ein Kleinkind einschätzen können? Wenn das Baby erst einmal da ist, empfiehlt es sich, das Erstgeborene in die Tätigkeiten zu integrieren – dass es also zum Beispiel auch mal bei der Pflege des Babys mithelfen darf. Aber Achtung: Wenn das Erstgeborene eventuell etwas grob zum Baby ist, bedeutet das noch lange nicht, dass es eifersüchtig ist. Kleinkinder haben oft schlicht noch kein Gespür dafür, was zu viel ist und brauchen eine liebevolle Begleitung und eine Anleitung, wie sie mit dem Baby umgehen dürfen. Doch nicht nur die Eltern können einen Beitrag leisten, dass das Erstgeborene weniger eifersüchtig wird.

Sondern?
Auch das engere Umfeld. Indem man zum Beispiel als Besucherin nicht automatisch auf das Baby zusteuert und ihm die ganze Aufmerksamkeit schenkt, sondern sich vielleicht zuerst dem Erstgeborenen zuwendet. Wenn das ältere Geschwister Tag für Tag erleben muss, wie die ganze Aufmerksamkeit zum anderen Kind geht, ist es völlig normal, dass es sich in die zweite Reihe zurückgestellt fühlt.

In welchem Alter ist die Geschwistereifersucht in der Regel am deutlichsten ausgeprägt?
Das lässt sich nicht generell sagen. Nehmen wir meine beiden Söhne, die im Abstand von drei Jahren zur Welt kamen. Am Anfang hat sich der Ältere sehr gefreut und war sehr interessiert und liebevoll. Erst als der Kleine begonnen hat, zu gehen, hat sich Eifersucht beim Älteren bemerkbar gemacht. Der Grund: Der Ältere realisierte in diesem Augenblick, dass seine Autonomie, sein Raum – ja seine Spielzeuge – bedroht waren.

Maya Risch:«Herausfordernd wird es oft dann, wenn das Zweitgeborene plötzlich schneller, klüger oder mutiger. wird und somit die natürliche Rangordnung auf den Kopf zu stellen droht.»

Woher kommt die Eifersucht unter Geschwistern überhaupt?
Da gibts natürlich ganz viele Gründe. Ganz konkret ist es auch eine Frage der Ressourcen der Eltern, die zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder je nachdem in ganz anderen Situationen stecken und eventuell ganz unterschiedlich belastbar sind. Herausfordernd wird es oft dann, wenn das Zweitgeborene plötzlich schneller, klüger oder mutiger wird und somit die natürliche Rangordnung auf den Kopf zu stellen droht. Und natürlich ist es für das Erstgeborene immer eine extreme Umgewöhnung, wenn es plötzlich alle Ressourcen mit einem Geschwister teilen muss. Der verstorbene Familientherapeut Jesper Juul hat es mal so veranschaulicht: Stellen sie sich als Mann vor, ihre Frau bringt plötzlich einen zweiten Mann nach Hause und sagt: «Das ist der Peter, der wohnt ab jetzt hier. Ich habe euch aber beide gleich gern, heisse ihn also bitte herzlich willkommen.» Etwa so erleben Erstgeborene die Ankunft ihres Geschwisters.

Geschwister zanken sich regelmässig und das ist normal. Wieso ist ein gesundes Mass an Reibung und Rivalität gut für Geschwister?
Streit und Auseinandersetzungen – auch der Eifersucht geschuldet – sind eine grosse Chance für Geschwister. Nämlich, sich durchzusetzen zu lernen und Grenzen zu setzen. Seine Geschwister hat man sich nicht ausgesucht, die hat man einfach. Deshalb sollten Eltern auch nicht automatisch davon ausgehen, dass sich ihre Kinder besonders lieben sollen und werden. Aber gerade, weil die Geschwisterbeziehung einfach gegeben ist, erlaubt das den Geschwistern auch mal über die Grenzen zu gehen. Denn egal wie heftig der Streit oder die Auseinandersetzung war, die Beziehung hält trotzdem Bestand. Manchmal haben meine Jungs so heftig gestritten, dass mir das eigentlich zu weit ging. Wenn ich sie dann fragte, ob das noch ok sei, sagten sie oft «ja». Bei Jungs werden die Konflikte dabei oft physisch, bei Mädchen eher verbal ausgetragen. Gerade für mich, die mit einer Schwester aufgewachsen ist, ist und war es nicht immer einfach, richtig einzuschätzen, ob und wann ich bei einem Streit meiner Jungs eingreifen sollte.

Das führt zur Frage, wann es als Eltern angebracht ist, in einen Konflikt einzugreifen oder einem Eifersuchtsmuster entgegenzuwirken?
Wie überall in der Erziehung ist es zentral, die Dinge zu verbalisieren und zu benennen. Ich höre oft von älteren Menschen, aber auch Fachpersonen, dass es früher für die Eifersucht und viele andere Gefühle im Familienleben schlicht keine Worte gab. Anerkennen zu können, dass es Eifersucht unter Geschwistern gibt, ist schon ein grosser Schritt. Wenn Eltern sich dessen nämlich erst mal bewusst sind, merken sie, dass Sätze wie «lass doch den Kleinen» oder «stell dich nicht so an, die Kleine kann das doch auch» nicht zielführend sind.

Vergleiche dürften wohl sowieso ein No-Go sein, will man die Eifersucht unter seinen Kindern nicht befeuern?
Absolut. Vielmehr sollten Eltern versuchen, jedes Kind mit all seinen Stärken und Schwächen als Individuum wahrzunehmen und auf Vergleiche verzichten. Und auf noch etwas sollten wir Eltern verzichten.

Nämlich?
Versuchen, bei einem Streit oder einer Auseinandersetzung Schiedsrichter zu sein. Wir Eltern können bei keinem Streit wirklich objektiv sein. Denn wir sehen eigentlich fast nie alles, was einem Streit vorausgegangen ist. Vielmehr sind bei einem Streit oft beide Kinder in Not und wissen nicht mehr weiter. Dann macht es am meisten Sinn, sich ehrlich für die Kinder zu interessieren und Empathie für beide zu zeigen. Kinder brauchen Begleitung, um ihre starken Gefühle zu regulieren.

Haben Sie konkrete Tipps, was zu tun ist, wenn zum Beispiel ein Kind immer das Gefühl hat, es kommt zu kurz oder es bekomme immer das kleinere Stück vom Kuchen ab?
Kürzlich hat eine Grossmutter an einem Workshop von mir teilgenommen. Sie hat mir erzählt, dass ihr älterer Enkel eifersüchtig war auf den jüngeren und diesen nicht mit seinem Spielzeug spielen liess. Da habe sie den Grösseren zu sich genommen und ihn gefragt, was er denke, für welche Spielsachen er wohl schon zu gross sei und ob er eventuell teilen könne. Er habe dann einen Teil der Spielsachen in eine Box für den Kleineren getan. Was ich damit sagen will: Diese Grossmutter hat die Eifersucht ihres Enkels ernst genommen und ihn auf eine gute Weise abgeholt.

Also einfach mit den Kindern sprechen hilft?
Jein. Bei Eifersucht hilft logisches Argumentieren meistens nicht, da sind schlicht zu viele Emotionen im Spiel. Eifersucht ist immer subjektiv und emotional. Kürzlich habe ich einen schönen Witz dazu gehört. Eine Mutter teilt ein Stück Kuchen exakt in zwei gleich grosse Teile und gibt diese ihren zwei Buben. Da schreit der Ältere: «Das ist unfair, die beiden Stücke sind gleich gross.» Manchmal sind es vermeintlich kleine Sachen, welche Kinder eifersüchtig machen. So habe ich unseren Kleineren eine Zeit lang immer zuerst ins Bett gebracht. Der Ältere wurde deswegen eifersüchtig, konnte aber nicht sagen, was ihn störte. Erst, als wir ihn darauf ansprachen, sagte er, dass er sich wünsche, dass ich mich beim Zubettgehen zuerst um ihn kümmere.

Finden rivalisierende Geschwister in der Regel als Erwachsene zueinander? Oder anders gefragt: Kommt es oft vor, dass eine Eifersucht im Kindesalter sich negativ auf die Beziehung im Erwachsenenalter auswirkt?
Das kann tatsächlich passieren. Es kann Konstellationen geben, wo das eine Geschwister sich dauernd zweitrangig fühlt oder tatsächlich vernachlässigt wird und die Eltern nie etwas unternommen haben, diesem gefühlten Ungleichgewicht etwas entgegenzusetzen. Das kann in der Tat gröbere Verletzungen hinterlassen. Dann kann es vorkommen, dass sich die Geschwister für den Rest ihres Lebens aus dem Weg gehen, sobald sie können. Umgekehrt ist es auch nicht gut, wenn Eltern immer und überall beim kleinsten Anzeichen eines Streits einschreiten.

Weshalb?
Weil dies den Geschwistern verunmöglicht, eine eigene Beziehung untereinander aufzubauen. Denn wie oben bereits erwähnt, lernen die Kinder mit jedem Konflikt nicht nur etwas, sondern diese Konflikte und gemeinsamen Erlebnisse ermöglichen ihnen überhaupt, eine Beziehung zueinander aufzubauen.

Letzte Frage: Nicht selten bekommen Eltern von ihren Kindern den Satz «du hast mich ja doch viel weniger gern als mein Geschwister» zu hören. Was, wenn das sogar stimmt. Ich also zu einem meiner Kinder einen besseren Draht habe und das andere dies genau spürt?
Das kommt sogar öfters vor, als man denkt. Es ist aber gleichzeitig auch ein grosses Tabu, weshalb Eltern nicht gerne darüber sprechen. Denn wir Eltern haben den Anspruch, all unsere Kinder im gleichen Masse zu lieben.

Ich auch!
Wir alle tun das. Nur: Es ist erstens völlig normal, dass es Phasen gibt, in denen wir zu einem Kind einen besseren Draht haben als zum anderen. Das ging auch mir nicht anders. Es gab eine Zeit, da hatte ich zum einen Sohn weniger Verbindung, was mich traurig machte. Wichtig ist aber, das zu akzeptieren und nicht so zu tun, als sei diese Ungleichheit nicht vorhanden. Gerade weil das «weniger geliebte» Kind dies genau spürt, sollte man versuchen, mit ihm darüber zu sprechen. «Ja, ich fühle mich deinem Geschwister gerade näher, das ist auch für mich gerade sehr schwierig. Ich wünsche mir, dass auch unsere Verbindung wieder eine engere wird.»

Ein Grund sind Phasen sagen Sie. Der zweite Grund?
Es ist normal, dass es zwischen einem Elternteil und einem Kind auch eine stärkere Verbindung geben kann – diese nennt man intuitive Verbindung. Es ist ein Fakt, dass wir es mit den einen Menschen besser können als mit anderen. In einem Verein oder bei der Arbeit finden wir daran nichts Schlimmes. Wieso sollte das in einer Familie anders sein? Entscheidend ist, dass wir uns dessen bewusst sind und unser Verhalten auch diesem Umstand anpassen kann. Sprich; uns damit auseinandersetzen, wie wir mit dem Kind, zu dem wir weniger Verbindung spüren, wieder vermehrt in Beziehung gehen können.

Maya Risch arbeitet als Familienberaterin, ist Familylab-Seminarleiterin und Waldkindergartenlehrperson. Sie lebt mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann in Zürich-Oerlikon.

Auch in diesem Artikel geht es um Geschwisterstreit und -beziehung

Hier findest du Kursabende zum Thema Geschwister www.mayarisch.ch/aktuell

Wie Kinder lernen auf Papas und Mamas Aufmerksamkeit zu warten

Wie Kinder lernen auf Papas und Mamas Aufmerksamkeit zu warten

Von Maya Risch

Hören Sie ständig «Mami, schau was ich gemacht habe» oder «Papi komm, spiel mit mir!»? Fragen Sie sich auch ab und zu: Kann mein Kind nicht auch mal kurz warten? Ist das normal, dass es dauernd etwas von mir will? Gebe ich meinem Kind zu viel Aufmerksamkeit, habe ich es verwöhnt?

Solche und ähnliche Gedanken kennen wohl die meisten Eltern kleiner Kinder. Ja, unser Kind will unsere Aufmerksamkeit und Zuwendung – am liebsten während 24 Stunden am Tag. Zum Glück braucht es diese aber nicht andauernd! Natürlich benötigt es unsere Präsenz und Anerkennung, um gesund aufzuwachsen, aber nicht rund um die Uhr.

Wichtiger als die Dauer der Aufmerksamkeit ist deren Qualität.

Wie ist das eigentlich: Können wir unseren Kindern auch zu viel Aufmerksamkeit geben und sie dadurch verwöhnen? Nein, Aufmerksamkeit im Sinn von Kontakt und Präsenz können wir nie zu viel geben, solange diese echt ist und wir sie ihm nicht aufdrängen. Wichtiger als die Dauer der Aufmerksamkeit ist aber deren Qualität. Dazu später noch ein paar Gedanken.

Vielmehr ist es so, dass wenn wir uns fragen, ob wir unserem Kind zu viel Aufmerksamkeit geben, wir ihm diese Aufmerksamkeit in diesem Moment eigentlich nicht geben wollen… Dabei aber ein schlechtes Gewissen haben.

Kinder wollen für Eltern wertvoll sein

Kinder wollen so oft im Kontakt mit ihren engsten Bezugspersonen sein, weil sie abhängig sind von unserer Fürsorge und sich bei uns Eltern sicher fühlen. Sie wollen wertvoll für uns sein und sich geliebt, gesehen und gehört fühlen – als ganze Persönlichkeit.

Wenn das Kind ruft: «Mama guck mal, Papa komm mal her», will es, dass wir Anteil nehmen und uns ihm zuwenden. Es will, dass wir sehen, was es macht, was es schon kann, was ihm gerade gelingt oder Spass macht oder wo es Hilfe braucht. Oft reichen dann ein paar Momente Augenkontakt, begleitet von einem Nicken und einem interessierten «Aha» oder «Oh, so gross» oder «Ja, ich sehe, dass du Spass hast.»

Weil kleine Kinder unsere Aufmerksamkeit am liebsten rund um die Uhr suchen, ist es völlig normal, dass uns dies immer mal wieder zu viel wird. Wir haben ja auch noch andere Bedürfnisse Interessen und Aufgaben und wir haben auch unsere Grenzen.

Auf Mama oder Papa warten, ist ein Lernprozess

Dürfen wir vom Kind verlangen, zu warten, wenn wir ungestört mit unserer Freundin telefonieren, die Zeitung lesen oder uns mit unserem Nachbarn in Ruhe unterhalten wollen? Selbstverständlich! Wir dürfen dies nicht nur verlangen, wir sollen das auch. Es ist nicht nur für unser Wohlbefinden, sondern auch für die Entwicklung unseres Kindes wichtig, dass wir unsere Bedürfnisse und Grenzen klar zum Ausdruck bringen. Wenn wir Kindern klar sagen, was wir wollen und brauchen, lernen sie, dass nicht nur sie Bedürfnisse haben, sondern auch wir.

Für kleine Kinder ist es ein Lernprozess, ein paar Minuten zu warten und die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Viele Kinder können das nicht beim ersten Versuch, sie können es allerdings lernen, wenn wir ihnen Gelegenheit dazu bieten.

Damit Kinder dies lernen können, ist es sinnvoll, dass wir mit einer wirklich kurzen Zeitspanne anfangen. Zu Beginn können das zwei oder drei Minuten sein. So werden erste Erfolgserlebnisse ermöglicht. Danach kann die Dauer auf fünf Minuten und mehr verlängert werden. Einige Kinder können je nach Tageszeit und Tagesform schon als Vierjährige ohne Probleme etwas länger warten. Das ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich.

Kinder aufs Warten vorbereiten

Wenn wir vorausschauend handeln und dem Kind im Voraus mitteilen, was wir von ihm wollen, erleichtern wir es uns und dem Kind, sich auf die folgende Situation einzulassen. Will ich also in Ruhe ein Telefongespräch führen, kann ich sagen: «Ich rufe jetzt meine Freundin an. Das dauert solange, bis der Küchenwecker klingelt. Du kannst gerne Hallo sagen, wenn du willst. Danach will ich alleine mit ihr reden und ich will, dass du ein Buch anschaust oder sonst etwas machst, wofür du mich nicht brauchst. Hast du eine Idee? Brauchst du gerade noch etwas von mir, bevor ich anfange?»

Kommt das Kind trotz guter Vorbereitung während dem Telefonat zu uns, können wir uns ihm kurz zuwenden und sagen: «Ich höre, dass du etwas willst von mir. Jetzt will ich in Ruhe telefonieren. Nachher höre ich dir zu.»

Etwas schwieriger ist es, wenn wir keine Gelegenheit haben, das Kind vorzubereiten, zum Beispiel, wenn uns jemand anruft. Kommt das Kind nun zu uns, sollten wir das Telefonat kurz unterbrechen, um ihm liebevoll mitzuteilen, dass wir uns im Moment gerade nicht mit ihm beschäftigen können. Am besten sagen wir ihm, wann wir uns ihm wieder zuwenden können: «Ich sehe, dass du mir etwas zeigen willst. Ich kann jetzt nicht schauen. Bitte hol dir etwas, das du ohne mich machen kannst. Nach diesem Telefon bin ich wieder für dich da, ich weiss aber noch nicht genau, wie lange es dauern wird.»

An Abmachungen halten, ist wichtig

Wichtig ist, dass wir Erwachsenen uns immer wieder bewusstmachen, dass unser Kind in einem Lernprozess ist. Das bedeutet, dass es Übung braucht, und es darum ganz normal ist, wenn das Warten oder Bedürfnisse aufschieben nicht von Anfang an klappt.

Für diesen Lernprozess besonders wichtig ist es, dass wir auch verlässlich wieder da sind, sobald die vereinbarte Zeitspanne vergangen ist, und zwar auch dann, wenn sich das Kind vielleicht noch weiterhin selbst beschäftigt.

Da kleine Kinder noch kein Zeitgefühl haben, kann eine Sanduhr helfen, die Zeit sichtbar zu machen. «Komm mal her, hier ist eine Sanduhr. Siehst du wie der Sand hinunterrieselt. Sobald der gesamte Sand durch die enge Stelle gefallen ist, bin ich wieder bei dir», können wir zu unserem Kind sagen. Auch hilfreich ist ein TimeTimer. Dieser macht die Zeit sichtbar für die Kinder.

Worauf es sich lohnt, zu achten

Wenn Kinder regelmässig echte Präsenz und ungeteilte Zuwendung erhalten, fällt es ihnen meistens mit etwas Übung leichter, hin und wieder mal zu warten. Gelingt dies trotz aller Hilfestellungen nicht, sollten wir uns fragen, ob wir ihm wirklich jeweils unsere ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Legen wir zum Beispiel das Handy weg, wenn es zu uns kommt? Sind wir mit den Gedanken vielleicht irgendwo ganz anders, überlegen wir gerade was auf die Einkaufsliste kommen soll oder was im Büro noch unbedingt erledigt werden muss? Dann geht unsere Präsenz weg vom Kind. Dem Kind kommt es vor, als ob wir verschwinden, obwohl wir physisch anwesend sind. Es fühlt sich alleine und tut alles, um uns wieder zurückzuholen.

Wir können noch etwas tun, um das Kind in seinem Lernprozess zu unterstützen und die Beziehung zu ihm zu stärken. Wenden wir uns nach der vereinbarten Zeitspanne, die das Kind gewartet hat, dem Kind zu, können wir seine Bemühung würdigen. Auch wenn es nur ein Teil der vereinbarten Zeit geklappt hat. «Ich merke, du hast wirklich versucht, zu warten! Das hat ja schon etwas geklappt. Bald üben wir das nochmals.» Und wenn das Kind es geschafft hat, sich eine Weile allein zu beschäftigen, können wir uns bei ihm bedanken: «Danke, dass ich in Ruhe telefonieren konnte und du solange allein gespielt hast. Das war wirklich eine Hilfe für mich. Komm, jetzt spielen wir zusammen. Jetzt habe ich Zeit.»

Erwachsene, die sehen, wahrnehmen und ausdrücken, dass ihr Kind mit ihnen zusammenarbeitet und wertvoll für sie sein will, sind sehr wichtig für die Kinder und bestärken sie darin, weiterhin mit uns kooperieren.

Proaktive Führung entschärft Konflikte

Proaktive Führung bedeutet vorausdenken. Artikel Maya Risch, Dezember 2021

Proaktive Führung bedeutet vorausdenken. Artikel Maya Risch, Dezember 2021

Proaktive Führung entschärft Konflikte

Diese Art der Führung bedeutet, dass Eltern vorausdenken. Kinder leben im Hier und Jetzt – und gerade jetzt ist es doch so schön.

Erstmals erschienen im Dezember 2021 auf www.familienleben.ch

Kinder leben im Hier und Jetzt – und im Jetzt ist es immer am schönsten. Wie Eltern ihre Kinder mit Verständnis anleiten und begleiten.

Von Maya Risch

Es ist Papi-Tag, der Sohn spielt, ist ganz vertieft. Der Vater sagt zum fünfjährigen Miro: «Ich sehe, du spielst gerade Lego. Komm wir gehen zum Spielplatz, so lange die Sonne noch scheint.» Miro: «Nein, ich will hier weiterspielen» Vater: «Okay, ich habe gehört, dass du noch weiterspielen willst. Dann bringe ich noch den Müll raus.» Der Vater kommt zurück: «Bereit für den Spielplatz?» Miro: «Ich will dieses Haus noch fertigbauen, dann komme ich» Vater: «So lange mag ich nicht mehr warten, du kannst noch diese Wand fertigbauen und dann gehen wir. Ich ziehe schon mal meine Schuhe an.» Miro löst sich widerwillig und langsam vom Legospiel, als die Wand fertig ist und kommt.

Wieso Eltern proaktiv handeln sollten

Kinder leben im Hier und Jetzt – und gerade jetzt ist es doch so schön. Sie erinnern sich mitten im schönen Legospiel nicht mehr daran, wie toll es beim letzten Mal auf dem Spielplatz war und auch nicht daran, dass das Rennen und Rutschen dort genauso viel Spass machen wird wie Lego bauen. Der Vater aber weiss, dass Miro noch etwas Bewegung braucht und die Sonne bald untergeht. Deshalb handelt er proaktiv, er wartet nicht, bis Miro auf Grund mangelnder Bewegung unruhig wird und quengelt.

Der Vater übernimmt Verantwortung, schafft einen klaren Rahmen und erreicht sein Ziel mit Gleichwürdigkeit und liebevoller Führung. Er respektiert die Bedürfnisse des Kindes indem er akzeptiert, dass Miro nicht sofort kommen mag. Er gibt ihm Zeit, vom «Nein» zum «Ja» zu finden. Gleichzeitig bleibt er klar bei dem, was ihm wichtig ist und sorgt so dafür, dass Miro Bewegung erhält.

Wie ist es denn, wenn unser Kind etwas von uns Eltern will? Dann möchten wir doch auch, dass es respektiert, dass wir uns nicht sofort um sein Anliegen kümmern, wenn wir uns gerade unterhalten oder noch etwas beenden wollen…

Wie Sie sich Raum und Zeit verschaffen

Miro und sein Vater sind nun schon eine ganze Weile auf dem Spielplatz, es wird Abend. Der Vater ruft: «Miro, komm wir gehen nach Hause.»

Was sagt wohl Miro, fünf Jahre alt dazu? Sagt er…:

A: Ja, Papi, ich komme sofort

B: Nein, ich will noch weiterspielen

Wir sind uns wohl alle einig, dass Miro ziemlich sicher mit B, einem «Nein», reagieren wird und wenn nötig auch lautstark für seinen Wunsch, dass er noch bleiben will., einstehen wird. Und der Vater ist erneut gefordert, liebevoll und klar zu bleiben, ohne in einen Machtkampf zu geraten.

Der Vater sagt: »Aha, du möchtest noch bleiben. Hm, das muss ich mir kurz überlegen.»

Mit diesem Satz verschafft sich der Vater Raum und Zeit, um kurz nachzudenken. Er überlegt, wie der weitere Abend aussieht: «Auf dem Heimweg muss ich noch ein Brot kaufen. Zuhause gilt es, das Abendessen vorzubereiten und danach Miro ins Bett zu bringen. Ohne Stress schaffen wir das nur rechtzeitig, wenn wir nächstens hier weggehen. Ich bin heute etwas müde, und da werde ich rasch ungeduldig, wenn ich mich unter Zeitdruck fühle. Ich muss wohl bei meiner Ansage bleiben, um zu gewährleisten, dass ich Miro gut begleiten kann, bis er schläft.»

In diesem Wissen geht er zu Miro hin: «Ich finde es auch sehr schön hier und würde gerne noch etwas bleiben. Trotzdem müssen wir leider gehen. Willst Du noch einmal rutschen? Oder zweimal? Nachher gehen wir.»Der Erwachsene trägt immer die Verantwortung

Der Ewachsene trägt immer die Verantwortung

Als meine Kinder in diesem Alter waren, reagierte ich selten wie der Vater im obigen Beispiel, sondern sagte meistens: «Also gut, wir bleiben noch eine Weile hier, ich finde es gerade auch so schön.». Ich dachte dabei nicht voraus und wollte so auch gleich noch einem Konflikt ausweichen. Sie können sich vorstellen, wie es weiterging. Mein Sohn hatte Hunger und war müde, bevor das Abendessen bereit war. Statt die Verantwortung für meine «falsche» Entscheidung zu übernehmen und empathisch zu reagieren mit: «Ohje, tut mir leid, dass wir zu lange auf dem Spielplatz geblieben sind und du jetzt gar nicht mehr aufs Essen warten magst, komm, nimm ein Stück Brot», wurde ich sauer und warf meinem Sohn vor: «Du wolltest doch noch länger auf dem Spielplatz bleiben, jetzt musst Du halt warten bis das Essen bereit ist, ich kann schliesslich nicht zaubern!»

Die Verantwortung für die Stimmung und den Ton in der Eltern-Kind-Beziehung trägt immer der Erwachsene, das können Kinder nicht übernehmen. Auch wenn wir uns Mühe geben, diese Verantwortung zu übernehmen, wird uns dies ab und zu nicht gelingen und wir werden unserem Kind Unrecht tun. Das ist natürlich nicht optimal aber menschlich und auch nicht so schlimm, solange wir uns hinterher beim Kind entschuldigen dafür und z.B. sagen: «Das was ich gestern gesagt habe, war total unfair von mir, das tut mir leid.»

Kinder brauchen Orientierung, Eltern auch

Kinder brauchen Erwachsene, die proaktiv, also vorausdenkend handeln, weil sie noch keine Erfahrung haben im Leben und selber noch nicht vorausdenken können. Sie brauchen Anleitung und Führung, weil sie noch nicht für sich selber sorgen können und abhängig sind von uns Erwachsenen.

Die meisten Eltern und Fachleute teilen die Ansicht, dass Kinder Führung, Orientierung und Anleitung brauchen. Die Frage ist, wie diese aussehen sollen. Ich erlebe immer mehr, dass Eltern, insbesondere inspiriert von der Haltung von Jesper Juul, von der Kultur des Gehorsams wegkommen und entsprechend auch auf Belohnungen, Drohungen und Strafen verzichten wollen. Es ist jedoch bei weitem nicht so einfach, die neuen Werte wie Authentizität, Gleichwürdigkeit, Integrität und Persönliche Verantwortung im Alltag umzusetzen, wie es auf den ersten Blick scheint.

Diese neuen Werte zu leben, ist ein Prozess und braucht Zeit, Auseinandersetzung und Übung.  Die meisten Erwachsenen sind mit einem anderen Wertesystem aufgewachsen und können nicht auf Vorbilder und Erfahrungen zurückgreifen, die ihnen in schwierigen Situationen helfen könnten. Die Gefahr ist deshalb gross, in solchen Momenten auf die altbekannte Gehorsamsschiene zu wechseln. Um Ideen und Wege für den Umgang mit solchen Situationen zu entwickeln, ist es oft sehr hilfreich, sich mit gleichgesinnten Eltern auszutauschen oder Input von aussen zu erhalten.

Wenn Geschwister streiten

Geschwisterstreit, Streit unter Kindern, beziehungs8sam, www.mayarisch.ch

Wenn Geschwister streiten:
Wie Eltern gelassen und konstruktiv reagieren

Eingreifen oder streiten lassen? Wenn Geschwister ständig zanken, kann das für Eltern ganz schön herausfordernd sein.

Von Maya Risch

Ich will das Auto haben!» «Du bist doof» «Lass mich in Ruhe» «Ich habe gestern einen Keks mehr gekriegt als du, ätsch». So und ähnlich tönt es oft zwischen Geschwistern. Gezanke, Streit und Kampf, das ist Familienalltag. Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern sind oft sehr emotional und intensiv, auch physisch und verbal. Niemand weiss so gut, wie der Bruder oder die Schwester, wie er/sie das Geschwister blitzschnell auf die Palme bringt.

Für uns Eltern fühlt es sich phasenweise so an, als ob Geschwister sich pausenlos streiten und die meisten von uns fragen sich wohl zwischendurch, ob das noch normal ist. Mir ging das jedenfalls immer wieder so, als unsere Jungs noch jünger waren. Es war für mich eine grosse Erleichterung, zu lesen, dass Geschwister sich laut wissenschaftlichen Untersuchungen etwa 4x pro Stunde streiten. Diese Ergebnisse sind mit Hilfe von in Kinderzimmern angebrachten Mikrofonen entstanden.

Streiten lassen oder eingreifen?

Trotz dieses Wissens und der Erleichterung, konnte ich mit den Streitereien nicht automatisch gelassener umgehen. Ich erlebe Geschwisterstreit bis heute als grosse Herausforderung. Weshalb? Das hat mit verschiedenen Faktoren zu tun. Da ist einmal mein Harmoniebedürfnis, Streit und Unfrieden stört einfach und muss schnell wieder verschwinden. Heute ist mir klar, dass die Lautstärke und die Angst vor einer möglichen Eskalation mein Nervensystem strapazieren und Anspannung in mir auslöst, das ist unangenehm. Ich liebe ja beide meiner Söhne sehr und will nicht, dass einer der beiden Schmerz durch den anderen erlebt, auch das spielt eine Rolle.

Immer wieder brachten mich die Streitereien und Kämpfe meiner beiden Buben ins Dilemma. Soll ich eingreifen oder die Jungs streiten lassen? Wieviel Streit und Disharmonie muss ich einfach aushalten? Was ist denn meine Verantwortung in einem Geschwisterstreit, was jene der Geschwister? Was müssen sie sogar lernen, alleine zu klären? Wann soll ich wie unterstützen, begleiten, wozu meine Meinung sagen?

Kinder lernen im Streit, Grenzen zu ziehen

Ich musste lernen, dass es «das Richtige» meist nicht gibt und wenn ausnahmsweise doch, dann ist es beim nächstenmal schon wieder nicht mehr das Richtige. Da ich in diesem Dilemma steckte, mich hilflos fühlte und mir selten klar war, wie ich mich in der aktuellen Situation verhalten soll, ist es mir leider in vielen Situationen nicht gelungen, gelassen, konstruktiv, fair und hilfreich zu reagieren. Denn ich geriet selber in Not, während meine Kinder eine souveräne Erwachsene gebraucht hätten, die ihre Bedürfnisse gesehen hätte und mit ihnen ihre starken Gefühle ausgesprochen und ausgehalten hätte. Dadurch können Kinder lernen, mit starken Gefühlen umzugehen, eigene Grenzen zu ziehen und selber Wege aus dem Streit zu finden.

Wie Eltern konstruktiv mit Geschwisterstreit umgehen

  • Mindset: Geschwisterstreit ist nicht falsch oder ungewöhnlich, sondern gehört zur Beziehung zwischen den Geschwistern, zum Familienleben und zur Kinderentwicklung mit dazu. (Das ist manchmal anstrengend. Auch das darf sein!)
  • Wenn die Geschwister aufeinander losgehen, für Sicherheit sorgen, z.B. spitze Gegenstände aus dem Weg räumen.
  • Ist der Streit einfach laut und nervig, kann ich mich raushalten und muss dann evtl. gut für mich selber sorgen. Dann kann ich, anstatt zu schimpfen, z.B. einen Gehörschutz/Ohropax anziehen oder den Kindern sagen, dass sie draussen fertig streiten sollen. Wer weitere Ideen zur Selbstregulierung sucht, wenn Kinder wütend sind, findet hier einige mehr:
    https://mayarisch.ch/wp-content/uploads/2019/12/Blog7_Nein-sagen-und-gelassen-bleiben.pdf
  • Den Streit eher begleiten als schlichten: Partei zu ergreifen hilft selten weit und hinterlässt Groll auf der einen Seite. Die Not, Bedürfnisse und Gefühle aller Beteiligten in Worte zu fassen ist daher eine bessere Strategie.
  • Wir Erwachsenen sind nicht immer verantwortlich dafür, eine Lösung zu finden.

Meine Erkenntnis: Der Streit der Kinder stellt für alle ein Lernfeld dar. Die Kinder können in einem geschützten Rahmen explorieren und so einen konstruktiven Umgang mit Gefühlen, Grenzen und Konflikten lernen. Das dauert oft eine Kindheit lang, bis sie das gelernt haben.

Was stresst Sie, was hilft Ihnen und welche Fragen haben Sie zu?

https://www.mayarisch.ch/aktuell/
hier findest du aktuelle Workshopf und Kurse zu Erziehungs- und Beziehungsthemen

“Numme no fünf Minute”

Maya Risch, Familienberaterin zu Gast bei Michel In Albon, im Podcast Medienstark, Swisscom

Im April war ich Gast bei Michael In Albon, dem Jugendmedienschutzbeauftragen der Swisscom.

Im Podcast “Medienstark” teile ich meine Erfahrungen und meine Meinung zum Thema “Bildschirmzeit”, aus der Sicht der Familienberaterin, Kindergartenlehrperson und Mutter.

Auch Kinder haben Grenzen

Auch Kinder haben Grenzen - Blogbeitrag von Maya Risch www.mayarisch.ch

Auch Kinder haben Grenzen - Blogbeitrag von Maya Risch www.mayarisch.ch

Auch Kinder haben Grenzen

Kinder sind von Geburt weg soziale Wesen und wollen wertvoll sein für uns und ihre Familie. Deshalb kooperieren sie mit unseren Bedürfnissen oft weit über ihre Grenzen hinaus. Aber auch Kinder haben Grenzen und müssen manchmal für ihre eigene Integrität einstehen dürfen.

Dieser Artikel ist im Februar 2021 hier auf www.familienleben.ch erschienen.

Von Maya Risch

Kinder haben bereits als Baby einen eigenen Charakter, Vorlieben und Abneigungen. Jedes Kind ist einzigartig und deshalb brauchen auch nicht alle Kinder das Gleiche.

Allen Kindern ist aber gemeinsam, dass sie zu unserer Gemeinschaft Familie dazugehören und sich wertvoll fühlen wollen. Sie wollen sich geliebt fühlen und anerkannt werden als die Person, die sie sind – auch dann, wenn sie starke Gefühle wie Trauer, Wut oder Angst ausdrücken. Kinder sind von Geburt an kompetent darin, uns zu zeigen, was ihnen gefällt und wo ihre Grenzen sind. Wenn ein Baby zum Beispiel den Blick von uns abwendet, sagt es damit: «Ich habe genug gespielt, gelacht und gehört. Ich brauche eine Pause.» Es ist jedoch nicht immer einfach zu erkennen, wann unser Baby Ruhe, Schlaf oder Nahrung braucht oder wann es mit uns spielen will.

Erwartung vs. Bedürfnisse

In seinem ersten Lebensjahr sind wir sehr interessiert an den Zeichen unseres Kindes. Irgendwann beginnen wir aber zu glauben, dass wir schon wissen, wer unser Kind ist und was es braucht. Wir achten immer weniger auf seine Zeichen.

Stattdessen fangen wir an, vom Kind zu erwarten, dass es sich so verhält wie gewohnt, wie es altersmässig sein sollte oder wie es gemäss unseren Vorstellungen in der Familie angebracht wäre: «Tom ist ein Träumer», «Silvia ist sportlich», «Evi ist ein Trotzkopf» oder auch «wir wollen ein Kind, das mutig und fröhlich ist». Solche Definitionen machen es dem Kind schwer, seine Persönlichkeit eigenständig zu entfalten.

Der Konflikt zwischen Kooperation und Integrität

Kinder brauchen Eltern, die achtsam bleiben und die Persönlichkeit und das Energielevel ihres Kindes zum aktuellen Zeitpunkt wahrnehmen. Gelingt es uns Eltern, die Bedürfnisse, Eigenheiten und Grenzen unseres Kindes ernst zu nehmen und zu benennen, kann das Kind sich selber kennen lernen. 

Wir tragen damit auch dazu bei, dass seine Integrität gewahrt wird. Das Kind steht, wie auch wir Erwachsenen, in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Integrität und Kooperation:

Integrität bedeutet, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu kennen, ernst zu nehmen und für diese zu kämpfen. Kooperation bedeutet, auf die (bewussten und unbewussten) Bedürfnisse des Gegenübers einzugehen oder sich sogar nach diesen zu richten. Wir kooperieren, um uns wertvoll und geliebt zu fühlen, und so ist es auch bei unseren Kindern.

Ein Spannungsfeld entsteht nun, wenn unsere Bedürfnisse und Erwartungen jenen des Gegenübers diametral entgegenstehen. In solchen Momenten stellt sich die Frage: Wie viele Erwartungen können wir erfüllen und wie lange? Wann geht es uns nicht mehr gut damit und wir verlieren unsere Kraft? Wir geraten dann in einen inneren Konflikt zwischen unserem Bedürfnis, vom Gegenüber geschätzt zu werden und ihm entgegenzukommen auf der einen Seite und der Notwendigkeit, für unsere Grenzen und unser Wohlbefinden einzustehen auf der anderen Seite.

Kinder können nicht immer funktioinieren

Für Kinder ist dieser Konflikt sogar existenziell, da sie von uns Eltern rundum abhängig sind. Deshalb kooperieren Kinder oft weit über ihre Grenzen hinaus mit den Vorstellungen und Erwartungen, die wir an sie haben.

Ein Beispiel: Ein Kind, das in der Schule immer wieder dafür kritisiert wird, langsam zu sein, dies jedoch zu seinem Wesen gehört und nichts mit Verweigerung oder Trödeln zu tun hat, erlebt immer wieder, dass es falsch ist, langsam zu sein. Ist das Kind stark, kämpft es für sich, indem es sich vielleicht irgendwann weigert in die Schule zu gehen, weil es die Spannung nicht mehr ertragen kann. Oder es bekommt Bauchweh, Kopfweh oder andere Symptome.

Und was machen wir Eltern typischerweise? Wir sagen, dass das doch nicht schlimm sei und dass es sich ein bisschen zusammenreissen soll. Das heisst, wir fordern von ihm, dass es sich anpasst. Bloss hat es dies schon die ganze Zeit versucht und kann nun nicht mehr.

Für das Kind ist es stattdessen wichtig, dass wir uns dafür interessieren, warum es nicht mehr in die Schule will und dass wir dem Kind dabei helfen, seine Integrität zu wahren und wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Das bedeutet in diesem Fall, dass wir es annehmen und auch in der Schule dafür einstehen, dass die Lehrperson sieht und anerkennt, dass das Kind bereits sein Bestes gibt und trotzdem langsam bleibt. Es ist ein riesiger Unterschied für das langsame Kind, ob es mit dieser Eigenschaft angenommen wird oder ob es immer das Gefühl vermittelt bekommt, falsch zu sein.Richtig reagieren: Wie Sie Ihr Kind jetzt unterstützen

Hat ein Kind seine eigenen Grenzen weit überschritten und kann und will gerade nicht mehr funktionieren, dann braucht es Eltern, die dies erkennen und verstehen. Es braucht Eltern, die merken, dass es sich zuerst um sein eigenes Wohlbefinden kümmern muss. Nur ist das leider viel einfacher gesagt als getan. Insbesondere, wenn wir gerade genervt sind und denken: «Warum muss mein Kind wegen dieser Kleinigkeit so einen Aufstand machen?»

Achten Sie doch im Alltag einmal darauf, wie oft ihr Kind mit Ihnen und Ihren Bedürfnissen, Zielen, Ihrem Arbeitsalltag und jenem der Schule zusammenarbeitet. Wann tut es das nicht? Vermutlich eher selten, aber sobald es mal nicht kooperiert, fordern wir von ihm, dass es sich anpassen und funktionieren soll. Manchmal nehmen wir sein Verhalten dann persönlich und glauben, dass das Kind uns provozieren will. Mögen Sie es, immer funktionieren zu müssen? Ich ermuntere Sie dazu, mehr darauf zu vertrauen, dass das Kind sein Bestes gibt und darauf, dass auch wir unser Bestes geben, das gerade heute möglich ist.

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Angespannte Zeiten – Entspannungsideen für Eltern und Kinder

Angespannte Zeiten- Entspannungsideen

Wir sind stark gefordert: Die Situation rund um das Coronavirus sorgt für ständige Anspannung, ja sogar Stress. Diese Anspannung ist uns zwar nicht immer bewusst – trotzdem belastet sie uns und auch unser Nervensystem. Das wirkt sich auch auf unsere Kinder aus. Entspannungsideen für Eltern und Kinder

Von Maya Risch

Seit Monaten erleben wir durch die bestehende Pandemiesituation viel Unsicherheit, müssen enorm flexibel und anpassungsbereit bleiben. Wir leben mit der Anforderung, uns immer wieder neu zu orientieren, weil Massnahmen ändern, wir auf Testergebnisse warten müssen, finanzielle Sorgen haben oder sogar unsere Existenz bedroht ist. Viele von uns meistern das gut, allerdings ist das bei den meisten Leuten mindestens mit einer latenten Anspannung verbunden, einige erleben vielleicht sogar chronischem Stress. Wir alle wissen nicht, wann diese Krise vorbei ist. Nehmen Sie diese Anspannung bewusst wahr oder eher unbewusst?  

Um diesem Stress von aussen etwas entgegenzuhalten, ist es zurzeit besonders wichtig, unser Nervensystem zu regulieren – zum Beispiel durch bewusstes Entspannen. Es ist wichtig, dass dieses System zwischendurch etwas zur Ruhe kommen kann und eine Pause von der Anspannung erhält. Diese Pausen sind sehr wichtig: Denn – vereinfacht gesagt – bleiben wir nur im Gleichgewicht, wenn unser Nervensystem nach einer Anspannung oder Stresssituation auch wieder herunterfahren und sich entspannen kann. Am besten spürbar ist dieser Effekt, wenn wir eine Prüfung hinter uns haben oder nach einer hohen sportlichen Aktivität wieder zur Ruhe kommen.

Wie Kinder auf den Corona-Stress reagieren

In meiner Familie und auch in Gesprächen mit Lehrpersonen und Elternberatungen wird deutlich, dass auch die Kinder zunehmend auf die Daueranspannung der Coronakrise reagieren. Auch ihr Alltag hat sich verändert. Sie sehen oft nur Augen und Masken, statt ganze Gesichter, sie haben oft weniger Kontakt zu Gleichaltrigen. Bei Jugendlichen fällt der Sport zum Teil weg. Auf diesen Stress reagieren Kinder und Jugendliche ganz unterschiedlich. Die einen entwickeln Ängste, wenn sie angespannt sind, andere zeigen ein erhöhte Sicherheitsbedürfnis, verlangen zum Beispiel nach mehr physischer Nähe, wieder andere reagieren mit Unruhe, Gereiztheit oder auch Aggression. 

Angespannte und aufgeregte Kinder können auch laut werden. Zurechtweisungen im Sinne von: «Sei ein bisschen ruhiger bitte.» «Hör auf herum zu zappeln!», helfen meistens nicht weiter. Die Kinder brauchen ein Hinführen zu einer Tätigkeit, die entspannend wirkt und oft brauchen sie zusätzlich auch unsere Nähe und Präsenz.

Wie können wir unsere Kinder dabei unterstützen, in dieser Zeit im Gleichgewicht zu bleiben? Ich habe im folgenden einige Ideen für Sie zusammengestellt. Viele der Anregungen sind in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Eltern entstanden und zum Teil auch schon in deren Alltag erfolgreich erprobt worden.

So finden Kinder Entspannung im Alltag: 9 Ideen 

Kinder sind sehr verschieden und sie entspannen sich auch nicht alle auf die gleiche Art und Weise. Wählen Sie selber, was Sie anspricht, probieren Sie aus und beobachten Sie, worauf Ihr Kind reagiert: Dass das Kind entspannt, zeigt sich, wenn es ruhig wird oder auch, wenn sich die Anspannung des Körpers löst. 

Über die Nase: Düfte haben eine entspannende Wirkung: Füllen Sie Bergamotte-Öl oder Lavendelessenz auf einen Durftstein oder in ein Duftlämpchen.  Ätherische Öle wirken direkt und ohne Worte auf unser vegetatives Nervensystem und helfen unbewusst beim Entspannen.

2 Über die Ohren: Naturgeräusche oder Entspannungsmusik ab CD hören wirkt ebenfalls passiv beruhigend auf unser Nervensystem ein. Ideen dafür sind viele im Internet zu finden.

Bewegung entspannt: Viele Kinder entspannen sich durch Bewegung. Am stärksten wirkt diese Bewegung, wenn sie draussen in der Natur möglich ist. Auch hüpfen, tanzen, Körperteile ausschütteln, Körper abklopfen zuhause sind gute Varianten dafür

Körperkontakt: Kleinere Kinder suchen oft Körperkontakt, wenn sie unsicher, ängstlich, unruhig sind. Zum Teil kommen sie nachts wieder zu uns, obwohl das länger nicht mehr vorgekommen ist. Wenn Sie so schlafen können, geben Sie dem Kind diese Nähe, wenn es diese in dieser Krisenzeit vermehrt auch nachts sucht.

Nähe schaffen: Grösseren Kindern, die nicht mehr kuscheln kommen, hilft es manchmal bei der Stressregulierung, wenn wir mit ihnen Raufen.

6 Vorlesen & Geschichten: Viele Kinder lieben es, wenn wir ihnen Geschichten vorlesen. Schon das Vorlesen allein hat oft eine positive Wirkung auf die Kinder. Zusätzlich können besondere Geschichten wie Fantasiereisen helfen, runterzufahren.

7 Massagen: Mein Sohn liebt Fussmassagen, um ruhig zu werden vor dem Einschlafen. Alternativ kann auch die Hand- oder der Rücken massiert werden. Vielleicht können sich Geschwister sogar gegenseitig massieren. Variante: Mit sauberem Farbroller, Wallholz oder Ball über Körperteile rollen

8 Kreativ werden: Malen nach Zahlen, Mandala ausmalen, Kleberli-Bücher kleben oder kneten, haben ebenfalls eine beruhigende Wirkung.

Körperübungen: Auf Youtube habe ich kürzlich ein Mitmachbilderbuch zur Stressregulierung entdeckt. Ich finde diese Körperübungen einfach auszuführen und entspannend. Entwickelt hat sie die Heilpraktikerin in Psychotherapie, Kati Bohnet.

5 Tipps, wie Eltern entspannt bleiben

Natürlich müssen nicht nur unsere Kinder etwas für ihre mentale Gesundheit tun. Wenn wir Eltern entspannt sind, tragen wir massgelblich dazu bei, dass auch unsere Kinder sich entspannen können. Wenn wir im Gleichgewicht sind, haben wir zudem mehr Raum dafür, unseren Kindern bei ihrer Stressregulierung beizustehen. Kinder brauchen uns, um zu lernen, wie Entspannung geht. Wenn wir es ihnen zeigen und auch leben, lernen sie Schritt für Schritt, sich besser zu regulieren und brauchen unsere Anleitung immer weniger.

1 Mitmachen! Viele der oben genannten Ideen haben auch für uns entspannende Wirkung. Wir könnten also mit unserem Kind mitmachen und so zusammen runterfahren. Dabei ist es hilfreich unsere Aufmerksamkeit auf unser Inneres zu richten anstatt auf das Ziel, das Kind zu beruhigen.

2 Freies Schreiben: Einfach drauflosschreiben! So lassen wir raus, was uns durch den Kopf geht, wie wir uns fühlen und was uns belastet, ohne Wertung, ohne Anspruch auf Sinn und Reihenfolge, Grammatik und Stil. Das entlastet den Kopf.

3 Kopf frei kriegen: Bewusste Entspannung während und nach dem Sport, in der Natur, beim Yoga, beim Lesen, telefonieren mit einer guten Freundin oder einem guten Freund oder bei guten Gesprächen mit dem Partner.

4 Achtsame Pausen: Solche Pausen sind für mich ebenfalls sehr wertvoll und entspannend. In diesen Momenten verlangsame ich bewusst und achte mich darauf, wie es mir überhaupt geht. Wie schnell, tief geht mein Atem? Kann ich meine Füsse wahrnehmen? Worauf richtet sich meine Aufmerksamkeit gerade? Wie hoch ist mein Anspannungslevel? Wozu habe ich noch Energie und was lasse ich weg?

Auf die Atmung achten: Wenn ich während dem Yoga den Fokus auf meinen Atem richte und diesen bewusst verlangsame oder wenn ich mich nach einem Referat oder Kurs in der Natur bewege, fange ich manchmal an zu gähnen. Das ist für mich eines der gut erkennbaren Zeichen, dass ich dabei bin, mich zu entspannen.

Wie erkenne Sie, dass Sie anfangen, sich zu entspannen? Ich freue mich auf Ihre Kommentare!

Dieser Artikel ist im Dezember 2020 auf www.familienleben.ch erschienen.

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Mein Kind jammert – warum stresst das so?

Kind jammert, schreit, sitzt auf dem Boden, "Mein Kind jammert, warum ist das so schwierig auszuhalten?"www.mayarisch.ch

Kind jammert, schreit, sitzt auf dem Boden, "Mein Kind jammert, warum ist das so schwierig auszuhalten?"www.mayarisch.ch

Hilfe mein Kind jammert! – Warum uns das stresst

Warum können viele von uns Eltern nicht einfach gelassen bleiben, wenn unser Kind jammert, weil ihm langweilig oder weil es müde ist?Dieser Artikel ist im September

Von Maya Risch

Mir ist soooo langweilig», jammerte mein Sohn oft. Ich fing sofort an, Ideen für ihn zu suchen und ihm Vorschläge zu machen, was er tun könnte. Dies tat ich, obwohl ich eigentlich wusste, dass es ganz in Ordnung, ja sogar nötig ist, dass Kinder sich auch mal langweilen. Natürlich passte sowieso kein Vorschlag und er jammerte weiter. Ich fühlte mich für die Zufriedenheit meines Kindes verantwortlich. Und da mein Kind offensichtlich nicht zufrieden war, fühlte ich mich noch mehr unter Druck, schnell etwas dagegen zu unternehmen. Das war zwar jeweils ein netter Versuch, funktionierte aber praktisch nie.
Warum können wir nicht einfach gelassen bleiben?

Ich wusste zwar schon damals, dass ich nicht für die Zufriedenheit meines Kindes verantwortlich bin. Trotzdem gelang es mir selten, in solchen Momenten gelassen zu bleiben und zum Beispiel zu sagen: «Aha, es ist dir gerade langweilig. Das ist in dem Moment unangenehm für dich. Ich bin mir aber sicher, dass dir bald Ideen kommen werden, was du tun könntest.»

In Beratungsgesprächen erzählen mir Eltern oft, wie schwer es ihnen fällt, gelassen zu bleiben, wenn ihr Kind jammert, unglücklich oder unzufrieden ist. Sie können das kaum ertragen und es ergeht ihnen so ähnlich, wie mir mit meinem Sohn im Beispiel.

Was macht es uns Eltern denn so schwer, einfach da zu sein und zuzuhören, wenn unser Kind über Langeweile klagt? Was passiert bei uns, wenn es in unseren Augen übertrieben laut und lange weint, wegen einer kleinen Verletzung? Warum stresst es uns, wenn es in leidendem Ton sagt: »Ich kann das nicht»?

Verschiedene Auslöser für unseren Ärger

Manchmal ist es einfach der Ton, in dem das Kind sich gerade ausdrückt, der uns gereizt reagieren lässt. Wenn das zutrifft, könnten wir zu unserem Kind sagen: »Ich merke, dass du etwas brauchst von mir und dass es dir gerade nicht so gut geht. Aber wenn du in diesem Ton mit mir sprichst, werde ich ganz unruhig und ungeduldig. Ich kann dir viel besser zuhören und für dich da sein, wenn du das was du willst ruhiger sagst. Kannst du das bitte mal versuchen für mich?» Oft sind allerdings andere Gründe dafür verantwortlich, dass es uns so schwerfällt, das Jammern zu ertragen.

In Momenten, in denen das Kind leidend und klagend vor uns steht, tauchen in unserem Kopf Gedanken auf, wie: »Was ist bloss los mit meinem Kind? Ich habe doch so viel gespielt mit ihm und jetzt ist es trotzdem unzufrieden. Was mache ich falsch?» Ist das Kind weinerlich oder weint es in unseren Augen zu lange oder zu heftig wegen einer Bagatelle, kommen möglicherweise Gedanken dazu wie: «Gleich so lange zu jammern wegen diesem Bisschen ist ja total übertrieben. Schliesslich kann man ja auch mal durchhalten und sich zusammenreissen oder zumindest in angemessener Zeit wieder beruhigen. Will es mich provozieren?»

Weil wir das Leiden des Kindes nicht mehr aushalten und uns hilflos fühlen, wenn das Kind trotz einem Moment der Zuwendung nicht aufhört zu jammern, ärgern wir uns. Wir werden oft ungehalten und reagieren genervt: «Hör mal endlich auf, so zu jammern!» oder ««Mach nicht so ein Theater, so schlimm ist das jetzt auch wieder nicht!» «Jetzt hast du lange genug geweint!» «Ich kann schliesslich nicht den ganzen Tag mit dir spielen!» Damit bewerten wir aber, was in Ordnung ist und was nicht.

Verhalten der Kinder nicht persönlich zu nehmen, hilft

Wenn unser Kind in unserer Nähe jammert, vertraut es uns. Es zeigt uns, wie es ihm geht und mutet uns zu, seinen Stress auszuhalten. Meistens braucht es in diesem Moment jemanden, einfach nur da ist für es, sein Leiden sieht und sich dafür interessiert. Es braucht Eltern die aus seiner Perspektive zu sehen versuchen, was mit ihm los ist und ihm Empathie entgegenbringen. Das klingt ganz einfach. Aber ist es das auch? Offenbar nicht, sonst würden wir es ja machen!

Das Problem ist, dass wir die Unzufriedenheit und das Leiden des Kindes persönlich nehmen und das Gefühl haben, etwas falsch gemacht zu haben. Wir fühlen uns möglicherweise schuldig oder zweifeln an unseren elterlichen Fähigkeiten. Das hindert uns daran, uns wirklich für die Langeweile, und den Schmerz unseres Kindes zu interessieren.

Darum fällt es uns in solchen Momenten auch schwer, empathisch auf das Kind zu reagieren und zum Beispiel zu sagen: «Ja, dass das gerade sehr weh tut, kann ich mir schon vorstellen. Wo genau tut es weh? Komm her, du bist nicht allein damit. Ist er noch immer so stark, dein Schmerz» oder «Puh, Langeweile ist ganz schön schwierig auszuhalten, nicht wahr.»

Gelingt es uns, dem Kind diese Empathie entgegenzubringen, kann es ihm helfen, wenn wir ihm nun erklären, dass dieses schwierige Gefühl in einer Weile wieder vorbeigehen wird. Das wissen Kinder ja oft nicht. Für sie ist es der Moment, der gerade so leidvoll ist und sie haben, je nach Alter, noch nicht so viele Erfahrungen, auf die sie zurückgreifen können.

2020 auf www.familienleben.ch erschienen.

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Mein Kind hört mir nicht zu!

Mein Kind hört mir nicht zu!

Dieser Artikel ist im Juni 2020 auf www.familienleben.ch erschienen.

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Von Maya Risch

Ich habe eingekauft, mir Zeit genommen, etwas Leckeres zu kochen, habe den Tisch schön gedeckt und freue mich auf ein gemütliches Essen mit meiner Familie. Ich rufe aus der Küche in die Wohnung: «Kommt essen!» Keine Reaktion. Lauter: «Kommt Essen!» Keine Reaktion. Lauter und aufgebracht: «Jetzt kommt endlich essen! Immer muss ich euch tausendmal rufen! Könnt ihr nicht einmal zuhören wenn ich etwas sage?»

Meine Vorfreude sinkt, ich werde wütend, weil ich mich nicht gehört fühle. Wer kennt solche Situation schon nicht? 

Wenn die Schutzhülle als Filter agiert

Wenn wir unser Kind rufen, erreichen wir es manchmal nicht, weil es in seiner eigenen Welt ist, im Spiel, in einer Schutzhülle und uns deshalb oft wirklich nicht hört. Das heisst, es hört uns physisch schon, diese Hülle filtert allerdings alles heraus, was ihm gerade nicht so wichtig ist.

Wenn das Kind Hunger hat und sich aufs Essen freut, wird es mich hören. So hört mein Sohn zum Beispiel immer, wenn ich von weit oder leise sage: «Willst du ein Eis?» Da er Eis liebt und natürlich gerne eins haben will, ist diese Frage für ihn wichtig. Rufe ich hingegen «aufräumen» oder «Zähne putzen», ist das zwar für mich wichtig, aber nicht für ihn. Es wird von der Schutzhülle weggefiltert. 

Diese Hülle filtert alles, was für das Kind in dem Moment nicht wichtig ist, ohne Rücksicht darauf, wie wichtig dies für den Sprecher ist. Das Kind entscheidet also nicht aktiv, uns nicht hören zu wollen. Eine anschauliche Erläuterung wie diese Schutzhülle funktioniert, bietet der Film «Wege aus der Brüllfalle».

Wie Sie die Schutzhülle durchbrechen

Was können wir also in so einem Moment tun, in denen das Kind uns nicht hört, wenn wir aus der Küche gutgelaunt «Essen kommen» rufen? Lauter und genervt zu werden hilft jedenfalls selten. 

Um das Kind zu erreichen, müssen wir unsere Arbeit kurz unterbrechen und zum Kind hingehen. Wir müssen es aufsuchen in seiner Welt und dort mit ihm Kontakt aufnehmen. Dann, wenn wir physisch ganz nah sind und vielleicht sogar mit einer Berührung Kontakt aufnehmen, spürt das Kind: «Aha, Mama/Papa ist da und will etwas sagen.»

Manchmal reicht es, das Kind anzusprechen mit: «Ich sehe, dass du spielst. Das ist ja ein neues Fahrzeug, das du gebaut hast.» Pause. Warten, bis das Kind reagiert, mich anschaut oder etwas sagt, und dann erst sagen: »Hör mal, ich bin bereit mit dem Essen und will, dass du in die Küche kommst.» Manchmal müssen wir einen Moment Geduld aufbringen, wenn wir mit dem Kind Kontakt aufnehmen wollen, wir müssen ihm Zeit lassen, «auf Empfang» zu schalten. 

Auf Empfang: Kurze Botschaften, langsam übermittel

Früher hatte ich offenbar die Angewohnheit, meinem Sohn eine Anweisung sehr wortreich zu erteilen. Als ich das wieder einmal machte, indem ich sagte: «Komm bitte in die Küche, wasch dir die Hände und versorg vorher noch dein Spiel in den Schrank. Ach ja und ruf noch Papa, damit er auch kommt», sagte er mir: «Du redest viel zu viel auf einmal und viel zu schnell.» Das war ein lehrreicher Moment für mich. Seither gehe ich oft zu ihm hin, setze mich zu ihm, lege ihm manchmal die Hand auf die Schulter und warte, bis er von seinem Spiel aufschaut. Dann sage ich: »Kannst du bitte kurz zuhören?» oder «Ich will dir kurz etwas sagen.». Dann warte ich nochmals kurz, bis er mir mit seinen Augen oder verbal ein «Ja, ich bin auf Empfang» schickt und rede erst dann. Ich bemühe mich, dann nur ein bis zwei Sätze zu sagen und keinen Roman von mir zu geben.

Dieses Vorgehen hat die Beziehung zu meinem Sohn enorm entspannt und auch meinen Mann erreiche ich so besser. Manchmal sind Rückmeldungen meiner Kinder wirklich ein wertvoller Hinweis und lehren mich, etwas anders zu machen. 

Klare Vereinbarungen helfen

Auch wenn sie uns gehört haben, tun Kinder deswegen noch lange nicht immer das, was wir ihnen sagen. Dann ist ein weiterer Schritt nötig. Nachdem wir uns vergewissert haben, dass das Kind uns gehört hat, müssen wir vereinbaren, wann es kommen oder etwas tun soll. Kinder – wie auch wir Erwachsenen – mögen keine Befehle, die verlangen, etwas sofort zu tun. Deshalb entspannt es die Situation oft wenn wir, dem Kind etwas Zeit zu geben: «Wir essen gleich, ich will, dass du kommst.» «Ich will noch dieses Legoauto fertigbauen.» «Ok, und danach kommst du?» «Ja.» Ich kann auch sagen: «Ich warte noch bis die Sanduhr runtergelaufen ist (bzw. 5 Minuten), dann fangen wir an zu essen. Ich habe Hunger.»

Kommt das Kind dann noch immer nicht, ist es manchmal nötig, nochmals hinzugehen, wieder Kontakt aufzunehmen und mit Nachdruck darauf zu bestehen, dass es jetzt kommt. «Das Legoauto ist fertig. Komm jetzt!» Was, wenn das Kind immer noch nicht kommt? Dann ist es nötig, und ruhig und beharrlich da zu bleiben und einzufordern, was ich jetzt will. «Jetzt essen wir. Komm!»

Bessere Beziehungen dank entspannter Kommunikation

An diesem Punkt passiert es vielen Eltern dann, dass die «Wenn du jetzt nicht, dann ….» Drohung auspacken oder eine Strafe aussprechen. Das hilft zwar meistens, um unser aktuelles Ziel zu erreichen, schadet aber der Beziehung zum Kind.

Wenn wir bis hierher durchhalten, kommt das Kind meistens. Und wenn nicht, werden Sie fragen. Dann drücke ich auch mal meinen Unmut lautstark aus: «Jetzt werde ich wirklich ungeduldig. Ich habe gekocht und will jetzt endlich essen. Ich mag nicht mehr warten und will, dass du auch kommst, und zwar jetzt!»

Übrigens sind auch wir Erwachsenen nicht immer auf Empfang und hören manchmal nichts, wenn der andere etwas sagt. Auch in der Partnerschaft lohnt es sich, zuerst Kontakt aufzunehmen und einen Moment zu warten, bis der Partner, die Partnerin reagiert, bevor wir anfangen zu reden, wenn wir gehört werden wollen.

Wie Kinder lernen, mit Stress umzugehen

Wutometer, gestalten von einem Kind (8J)

Wie Kinder lernen, mit Stress umzugehen

Kleine Kinder können sich noch nicht so gut regulieren, wenn sie wütend werden. Das zu lernen, ist ein Prozess. Wie Kinder lernen, mit Stress umzugehen und wie wir Eltern sie darin unterstützen können, einen konstruktiven Umgang mit Stress und Wut zu lernen, darum geht es in diesem Artikel.

Dieser Artikel ist im Juni 2020 auf www.familienleben.ch erschienen.

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Von Maya Risch

Wenn wir unseren Kindern im Umgang mit Stress und Wut helfen wollen, müssen wir erst verstehen, was die Kinder von ihrer Entwicklung her schon können und was noch nicht. Denn wenn Kinder sehr wütend sind, schaltet sich ihr Frontalhirn aus. Sie sind dann ganz Wut. Von Kopf bis Fuss.

Wut zu regulieren ist ein Lernprozess

Kinder können je nach Alter ihre Impulse noch nicht regulieren und kontrollieren. Dann werfen sie mit dem, was sie gerade in der Hand haben. Oder schlagen, treten, beissen.

Auch Babies spüren Ärger: Wenn Babys gestresst oder verärgert sind, können sie nur saugen oder schreien, um sich zu beruhigen. Wird der Stress grösser, schreien sie.

Das zeigt der Umgebung an, dass das Kind eine erwachsene Person braucht, die ihm hilft, wieder zur Ruhe zu kommen, indem sie es füttert, ihm Nähe anbietet, es ablegt oder seine Position verändert. Das wird auch Fremdregulation genannt. Bereits ein Baby im Alter von drei bis neun Monaten kann seine Impulse für eine ganz kurze Zeitspanne kontrollieren und warten, ohne loszuschreien. Wenn es die Erfahrung gemacht hat, dass die Eltern ihm zeitnah helfen.

Mit drei oder vier Jahren entdeckt das Kind dann sein «Ich». Es schreit nun auch, um den Stress zu vermeiden, der entsteht, wenn wir ihm einen Wunsch verwehren oder etwas nicht so läuft, wie sich das Kind das vorgestellt hat. Ein zerbrochener Keks kann ebenso Auslöser sein wie die Tatsache, dass wir nicht verstehen, dass das Kind die blaue Hose anziehen will. In diesem Alter können viele Kinder ihren Stress zum Beispiel auch mit Hilfe ihres liebsten Kuscheltiers abbauen.

Wut löst Stress aus und ist ansteckend

Übrigens: Auch bei uns Erwachsenen schaltet sich das Frontalhirn bei grosser Bedrohung oft ab. Nur haben die meisten von uns Strategien erworben, um sich in diesem Fall zu regulieren. Die Wut des Kindes löst bei uns Erwachsenen meistens Stress aus, egal wie alt das Kind ist. Zudem ist Wut ansteckend wie Lachen oder Gähnen. Wir sind somit gefordert, uns selber zu regulieren, damit wir nicht von der Wut des Kindes mitgerissen werden und ebenfalls zu schreien anfangen. Es ist völlig verständlich, dass wir manchmal im ersten Moment mitgerissen werden.

Wichtig ist aber, dass wir dies rechtzeitig wahrnehmen, Gegensteuer geben und uns selber regulieren. Das Kind braucht in diesem Moment eine Person, die ruhig und präsent bleibt, die seine Gefühle genauso wahrnimmt wie ihre eigenen und die sich bei Bedarf selber beruhigt. Gelingt uns das, können wir dem Kind helfen, sich zu beruhigen. Das Kind kann mit seiner Wut und Aufregung sozusagen zu uns in den Lift einsteigen und zusammen mit uns wieder runterfahren. Das wird auch Co-Regulation genannt.

Warum Sie Interesse zeigen sollten für die Wut des Kindes

Auf diese Hilfe beim Regulieren sind unsere Kinder noch ziemlich lange angewiesen. Sie entwickeln zwar mit vier bis sieben Jahren die Fähigkeit, sich äusseren Umständen anzupassen, sodass sie es dann in der Kita,

im Kindergarten und der Schule tagsüber oft schaffen, sich ohne uns zu regulieren. Vermutlich strengt sie diese Art der Regulierung ziemlich an. Zu Hause regulieren sie ihre Wut meistens noch einige Jahre weiterhin durch Schreien, Weinen und Wüten, weil sie sich hier wahrscheinlich sicher fühlen und sich darauf verlassen, dass wir trotzdem dableiben. Es lohnt sich für uns also, einen guten Umgang damit zu finden.

Ein durchschnittliches Kind, das in einem sicheren und fürsorglichen Umfeld aufwächst, braucht eine ganze Kindheit experimentellen Lernens, um alle seine aggressiven Gefühle zu integrieren, die destruktiven unter Kontrolle zu bekommen und sie von konstruktiven zu unterscheiden.
Jesper Juul

Ein wichtiger Teil, unserem Kind dabei zu helfen, einen konstruktiven Umgang mit dem kraftvollen Gefühl der Wut zu lernen, besteht darin, dass wir uns für seine Wut interessieren, ihr Raum geben und sie zusammen mit dem Kind aushalten und das Gefühl auch benennen: «Ja, ich sehe, dass dir das nicht gefällt. Du bist gerade sehr wütend.»

Mit Kindern im Alter von drei bis sieben Jahren habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, sie zu fragen: «Wie gross ist denn deine Wut?». Das Kind kann dann z.B. mit den Armen zeigen, wie gross seine Wut ist. Es hilft dem Kind, von der Grösse seiner Wut zu erzählen, wobei es wichtig ist, dass wir zuhören, ohne zu werten, ob die Wut berechtigt ist oder nicht.

Als mein Sohn in diesem Alter war und ich ihn nach der Grösse seiner Wut fragte, sagte er einmal: «Sie ist soooo gross wie dreimal rund um die Welt.» Ich sagte: «Soo gross? Kein Wunder, dass sie keinen Platz mehr hat in deinem Bauch. Komm, wir schauen, wie sie rauskommen kann.» Dieser Dialog half meinem Sohn, sich überraschend schnell zu beruhigen, weil er sich vermutlich in seiner Wut ernst genommen fühlte.

Bewegung hilft: So wird Ihr Kind die Wut los

Wut ist Kraft. Oft ist Bewegung hilfreich, um diese Energie freizusetzen, ohne etwas zu zerstören oder jemandem wehzutun. Hier einige Ideen dazu:

  • Kreise oder Strecke rennen (so lang und gross wie die Wut)
  • Zeitungen zerreissen, Zeitungen zerknittern und werfen
  • trommeln
  • stampfen, hüpfen auf zwei Beinen
  • Körperteile ausschütteln
  • Papier mit grossen Kreisen «vollkritzeln»
  • rauspusten: Luft ablassen (pffffff oder wuuuuuu)

Je nach «Grösse» der Wut, erreichen wir das Kind mit Worten im akuten Moment nicht mehr. Wir können später – in einem ruhigen Moment – mit dem Kind darüber sprechen, was es beim nächsten Mal tun kann, wenn die Wut wieder da ist. Dabei können wir das Kind auch nach eigenen Ideen fragen. Einige Kinder sind sehr erfinderisch. Nutzen wir ihre Kreativität, um der Wut einen Weg zu weisen und einen Raum zu geben.

“Tut Wut gut?”

"Tut Wut gut?" Umgang mit Aggression, www.mayarisch.ch

“Tut Wut gut?”

Wut ist wird oft negativ bewertet, weil wir keine Gewalt wollen. Deshalb soll die Wut auch weg.
Dabei kann sie uns, rechtzeitig ausgedrückt, wirklich eine Hilfe sein im Leben, denn sie bringt viel Kraft mit sich.

Dieser Artikel ist im April 2020 auf www.familienleben.ch erschienen.

«Wenn ich nach einem Tag ohne Pause und dem x-ten Streit der Kinder explodiere und in der Wut meine Kinder anschreie und Dinge zu ihnen sage, die ich im Leben nie sagen wollte, plagen mich danach Schuldgefühle», sagt meine Freundin. «Wut ist keine gute Sache.» Ihr Sohn findet hingegen: «Hmm, wenn ich wütend bin und dann Dampf ablasse und schreie, stampfe und kämpfe, bin ich nachher irgendwie leichter und ruhiger. Wut tut mir gut.»

Wut erkennen und als Warnsignal nutzen

Wut ist eine Kraft, Lebensenergie, ein Grundgefühl, das alle Menschen schon bei der Geburt mitbringen. Sie leistet uns als Warnsignal gute Dienste, wenn es uns gelingt, sie rechtzeitig wahrzunehmen und zum Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel indem wir frühzeitig und kraftvoll «Nein» oder «Stopp» sagen, wenn unsere Grenze überschritten wird. «Ich halte diese laute Musik nicht mehr aus. Ich will, dass du leiser stellst oder ins Zimmer gehst.» Oder, wenn wir kraftvoll dafür einstehen, dass wir 15 Minuten Pause brauchen, weil grad alles zu viel wird. Wut kann Veränderung bewirken, wenn wir sie rechtzeitig wahrnehmen und angemessen ausdrücken.

Das klingt einfach und einleuchtend. Warum lehnt dann aber meine oben erwähnte Freundin die Wut ab? Warum fällt es den meisten von uns so schwer, Wut als etwas Gutes zu sehen und ihre Kraft zu nutzen?

Wir wollen Wut oft nicht wahrnehmen. Warum eigentlich?

Vielfach kennen wir nur die zerstörerische Seite der Wut. Vielen von uns wurde von wütenden Erwachsenen Gewalt angetan, indem wir verbal gedemütigt oder gar geschlagen wurden. Daraus haben wir gelernt, dass Wut und Aggression zu Gewalt führen und grosse Schmerzen verursachen. Weil wir unsere Liebsten nicht verletzen wollen, lehnen wir nicht nur Gewalt ab sondern auch gleich Wut und Aggression.

Wenn wir keinen gesunden Umgang mit Wut erlebt haben, keine Modelle und Strategien kennen, wie wir konstruktiv damit umgehen können, dann ängstigt es uns, wenn wir spüren, wie Wut in uns aufsteigt. Wir wollen nicht gewalttätig sein und unsere Erfahrung sagt uns, dass wir nun gerade darauf zusteuern, also versuchen wir, die Wut zu verdrängen. Wir negieren, verstecken oder unterdrücken sie.

Wohin geht die Kraft, wenn wir unsere Wut verdrängen?

Leider führt diese Unterdrückungs-Strategie häufig genau zu dem, was wir eigentlich verhindern wollen. Indem wir Wut verdrängen, verschwindet sie nicht einfach, sondern gärt im Versteckten weiter, wie frischer Most in einer Flasche. Wir können die Flasche zwar zuschrauben, damit der Most nicht ausläuft, aber irgendwann wird der Druck so gross, dass die ganze Flasche explodiert. Die Wut staut sich an und sucht sich dann irgendwann unkontrolliert ihren Weg.

Tatsächlich ist es so, dass die Gefahr für Gewalt steigt, wenn wir uns unter Druck, hilflos oder ohnmächtig fühlen. Wir halten das nicht mehr aus, explodieren irgendwann und werden verbal oder physisch ausfällig.

Bei einigen Menschen geschieht auch das Gegenteil. Um diese Explosion zu verhindern, geht die verdrängte Kraft nach innen, gegen uns selber los. Wir werden uns selber gegenüber abwertend, zweifelnd, traurig oder verbittert.

Wie wir uns mit unserer Wut auseinandersetzen

Tut Wut nun also gut? Sicherlich nicht, wenn sie zerstörerisch wirkt. Sie tut gut, wenn wir den gesunden Umgang mit ihr erlernen.

Das ist ein Prozess. Ein erster Schritt in die richtige Richtung besteht darin, Wut bewusst wahrzunehmen, wenn sie hochkommt, statt sie zu verdrängen, wenn sie als sich als Signal meldet. «Hallo Wut» könnte ein Anfang sein.

Wenn das nächste Mal Wut hochkocht, können Sie sie versuchen, sich wie von aussen zu beobachten. Was passiert im Körper, im Herzraum, im Bauch? Welche Gedanken habe ich? Darf Wut sein? Wenn nicht, warum nicht?

Wie gehe ich denn mit der Wut meiner Kinder um? Was kann ich tun, wenn ich schon explodiert bin? Woher kommt denn die Wut überhaupt und wie kann ich sie regulieren und angemessen ausdrücken? Fragen Sie sich nun vielleicht. Damit sind Sie nicht allein, deshalb mehr dazu in einem nächsten Artikel oder in meinem Kurs “Tut Wut gut?”.

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Wer ist mein Kind? Der Blick durch die “goldenen Brille” hilft

Reflexionsübung Selbstwergefühl "Goldene Brille"

Wer ist mein Kind? – Blick mal durch die “goldene Brille”

Von Maya Risch

 «Würde mein Sohn seine Hausaufgaben doch nur selber erledigen. Es ist so mühsam mit ihm.» «Meine Tochter sollte endlich besser rechnen lernen, sie kann das einfach nicht.» «Immer muss ich dasselbe sagen, mein Kind könnte sich doch endlich merken, dass es den Teller abräumen soll.» «Dieses ewige Gemotze, wenn mein Kind etwas mithelfen soll, geht mir auf den Keks.» Haben Sie sich auch schon bei einem solchen Gedanken ertappt?

Interessierst Du Dich noch dafür, wer Dein Kind ist? Ein gelegentlicher Blick durch die «goldene Brille» bringt eine neue Sichtweise. Ich teile hier eine gute Übung, die Du ganz einfach ausprobieren kannst.

Sie empfinden das Zusammenleben mit Ihrem Kind oder einem Ihrer Kinder als anstrengend oder mühsam und können die Freude am Zusammensein gerade nicht mehr wahrnehmen? Dann ist es an der Zeit, das Kind wieder einmal durch die «goldene Brille» zu betrachten. 

Am Anfang sind wir neugierig

Wenn ein Kind zur Welt kommt, wollen wir wissen, wer unser Kind eigentlich ist. Wir sind neugierig zu verstehen, warum das Kind weint. Bedeutet sein Schreien, dass es Hunger hat? Weint es, weil ihm langweilig ist oder weil es müde ist? Wir lernen meistens schnell, genau hinzuhören und hinzuschauen. Das Schreien der Kinder hilft uns, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zeitnah zu erfüllen. 

 «Ach so, du magst nicht, wenn dir die Tante Marina zu nah kommt? Du fühlst dich nicht mehr sicher im Moment? Komm zurück zu Papa.» Durch unser zeitnahes Handeln findet das Kind meistens schnell wieder ins Gleichgewicht. Weil wir uns über jeden kleinen Entwicklungsschritt freuen und sehr wach sind in unserer Beobachtung, entsteht eine sichere Bindung für das Kind.

Es nimmt wahr, dass es gut aufgehoben ist und dass wir es verstehen. Sind seine Bedürfnisse erfüllt, ist es kooperationsbereit und arbeitet mit uns zusammen, lernt täglich dazu und wir auch. Wir freuen uns immer wieder daran.

Erwartungen trüben die Sicht auf das Kind

Später, wenn das Kind so vier, fünf Jahre alt ist, denken wir, dass wir wissen wer unser Kind ist, was es kann und wie es sein sollte. Wir denken: «Silvia ist ein ruhiges Kind.» «Sven ist wild und hört nicht.» «Nora ist eine gute Esserin.» «Salvatore ist ein schlechter Schläfer.» «Isabelle ist eine eifersüchtige Schwester.» «Elio ist ein hilfsbereiter Junge.» Wenn diese Prophezeiungen einmal nicht zutreffen werden wir plötzlich unzufrieden, wie in den Beispielen im ersten Abschnitt beschrieben. 

Indem wir definieren, wie unser Kind ist und Erwartungen aufbauen, verlieren wir den Bezug zum Moment. Dazu, wie es dem Kind wirklich geht und zu dem, was es eigentlich braucht. Oder wir vergleichen unser Kind mit anderen und erwarten, dass es schon selber essen, mindestens schon soundso viele Wörter sprechen oder alleine spielen können sollte. Das führt dazu, dass wir aufhören, uns dafür zu interessieren, wer das Kind gerade in dieser Phase ist, was es gerade jetzt beschäftigt, was es auszeichnet, was ihm gefällt und was nicht.

Dann ist es Zeit, das Kind durch die «goldene Brille» zu betrachten. Diese Übung stammt von Johannes H. Schopp, Lehrausbilder zur Zertifizierung von Dialogprozess-Begleiter*innen und hat sich in der Praxis immer wieder bewährt.

So können Sie durch die «goldene Brille» blicken

Holen Sie Ihre «goldene Brille» hervor. Stellen Sie sich einfach vor, Sie besitzen eine grosse Brille mit einem goldenen Rahmen. Das goldgelbe Brillenglas erlaubt es Ihnen, das Kind als das zu sehen, was es ist und wie es ihm zurzeit geht. 

Im Gegensatz zur «rosaroten Brille», die unseren Blick verklärt, entsteht hier ein möglichst neutraler, wohlwollender Blick auf das Kind. Unser Interesse daran, wer unser Kind gerade ist, ohne es gleichzeitig zu bewerten, hat eine positive Wirkung auf die Haltung dem Kind gegenüber und auf das Miteinander. Diese Haltung hilft uns dabei, das Kind so anzunehmen, wie es ist. 

Zudem weckt dieser Blick oft unsere Freude am Dasein des Kindes wieder, falls diese durch schwierige Zeiten gerade etwas verschüttet ist.

Wir können diesen Blick durch die goldene Brille schärfen, indem wir uns folgende Fragen stellen:

Was macht mein Kind gern? 
Essen mit der ganzen Familie, Ausflüge, in seinem Zimmer allein spielen, unter vielen Leuten sein, malen …

Welche Eigenschaften hat es? 
Ist es bewegungsfreudig, willensstark, ruhig, fantasievoll, hilfsbereit, an vielem interessiert, schnell, langsam? Achten Sie darauf, die Eigenschaften nicht als positiv oder negativ zu bewerten!

Was mag mein Kind überhaupt nicht? 
Fleisch, viele Leute, Katzen, Gesellschaftsspiele, Fernsehen, Fussball spielen …

Welches sind im Moment seine grössten Bedürfnisse? 
Autonomie, Nähe, Anerkennung, Gemeinschaft, Zeit, Ruhe, Neues lernen …

Was macht ihm gerade Schwierigkeiten, wo ist es herausgefordert?
Laufen lernen, Buchstaben schreiben, Lehrperson, das Tempo in der Familie, dass wir wenig gemeinsame Zeit haben, Tod von Opa …

Was tut ihm gut?
Alleine spielen, sich mit Freunden treffen, ein Wochenende ohne Pläne … 

Was tut ihm nicht gut?
Zuviel Fernsehen, dann ist es danach unruhig, mein dauernder Blick aufs Handy, dass es keine Freunde hat, meine Ungeduld …

Was freut mein Kind besonders?
Mit mir spielen, Eis essen mit Oma, wenn es etwas Schwieriges alleine geschafft hat …

Wenn Sie mögen, schreiben Sie Ihre Erkenntnisse auf. Sie können die Wirkung dieser Übung noch verstärken, indem Sie Ihrem Kind erzählen, was Sie aufgeschrieben haben. Durch das Aussprechen fühlt sich das Kind gesehen und das tut gut im Leben. Und vielleicht hilft es Ihnen sogar dabei, das Bild zu vervollständigen oder zu korrigieren.

Mir tut dieser Blick durch die »goldene Brille» immer wieder gut, vor allem, wenn ich es mit einem meiner Kinder gerade mühsam finde. Ich beobachte dabei allerdings auch, wie schnell ich anfange die Eigenschaften, Vorlieben und Erkenntnisse, mit positiv und negativ zu bewerten, obwohl ich mein Kind neutral wahrnehmen will.  Wie ist es Ihnen gerade ergangen damit? Wie wäre es, wenn Sie gelegentlich auch Ihren Partner, Ihre Partnerin durch die goldene Brille betrachten, oder sich selber?

Dieser Text von mir ist im Februar in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Artikel als PDF downloaden.

Die Krise stresst – nicht das Kind

Blog Selbstfürsorge

Blog Selbstfürsorge

Warum es so wichtig ist, dass wir gut für uns sorgen

Tipps für Deine Selbstfürsorge in stressigen Zeiten. Me-Time ist dann umso wichtiger. So wie Du im Flugzeug zuerst Deine Sauerstoffmaske montierst und dann die für Dein Kind, musst Du auch betreffend Energie zuerst für Dich gut sorgen. Nur so kannst Du gut für Dein Kind da sein.

Von Maya Risch

Wir alle sind von der Coronakrise betroffen und es ist vermutlich für uns alle eine grosse Herausforderung oder gar ein enormer Stress, uns mit der neuen Situation abzufinden und uns darin neu zu organisieren. Die massiven Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit, die zusätzlichen Belastungen wie Homeoffice und Homeschooling, wegfallende Grosseltern oder andere Betreuungsangebote und die Unsicherheit oder Angst vor den kommenden Wochen fordern uns auf verschiedenen Ebenen stark.

Zudem sind wir weiterhin für die Atmosphäre in unserer Familie verantwortlich. Die Kinder sind wie immer – laut, lustig, fordernd, sie streiten sich und wollen unsere Aufmerksamkeit haben. Genau darum ist in diesen Tagen Selbstfürsorge ungemein wichtig.

Mit Selbstfürsorge ist gemeint, dass wir in dieser Krise so handeln müssen wie im Flugzeug, wenn ein Notszenario eintritt. Dort werden wir dazu aufgefordert, zuerst uns selbst die Sauerstoffmaske anzulegen, damit wir handlungsfähig bleiben, und erst dann unsere Kinder mit einer eben solchen zu versehen.

Warum es so wichtig ist,
dass wir Eltern gut für uns sorgen

Wenn wir jetzt nicht gut auf unsere eigenen Bedürfnisse achten und uns nicht kleine Inseln der Ruhe oder Bewegung schaffen, passiert es sehr schnell – meistens am Abend, wenn alle müde sind –, dass wir, weil wir Stress haben, die Kinder anschreien, sie abwerten oder grob werden. Das ist ihnen gegenüber nicht fair, das wissen wir. Denn auch sie erbringen zur Zeit grosse Anpassungsleistungen und verstehen vieles nicht so ganz. Nur nützt uns dieses Wissen nicht viel, wenn unser Energietank leer ist und das Verhalten der Kinder an unseren Nerven zerrt, wie das eben vorkommt – besonders jetzt.

Um am Abend noch über Energiereserven zu verfügen, müssen wir tagsüber gut auf unser Wohlbefinden achten. Einerseits können wir unsere Erwartungen herunterschrauben und uns überlegen, was wir weglassen können. Dabei überlege ich mir jeweils, was passieren würde, wenn diese Erwartung gerade nicht erfüllt würde. Meistens ist die Antwort – eigentlich nichts. Und andererseits können wir uns selber immer mal wieder etwas Raum geben, indem wir für uns zumindest Minipausen schaffen und – wenn möglich – auch eine längere Pause einbauen.

Uns selbst immer wieder etwas Gutes zu tun, hilft dabei, unseren Energietank immer wieder nachzufüllen, sodass wir weniger schnell «ausrasten». So sorgen wir dafür, dass unsere Beziehungen gesund bleiben und wir unseren Krisenstress nicht an den Kindern auslassen.

Wie geht Selbstfürsorge?

Folgende und ähnliche Fragen sollten wir uns regelmässig stellen und nach Antworten darauf suchen. Wie tanke ich auf? Was tut mir gut? Was tut mir nicht gut? Was kann ich Gutes für mich tun, hier in der Wohnung oder rund um den Wohnblock? Wohin kann ich mich zurückziehen? Wie kann ich etwas Raum für mich schaffen? Ich habe z.B. einen bequemen Stuhl in unser Schlafzimmer gestellt, damit ich dort zwischendurch in Ruhe etwas lesen oder telefonieren kann. Als Nächstes will ich mir eine Online-Yogastunde gönnen. Wobei ich das Glück habe, dass meine Kinder schon etwas älter sind und ich sie problemlos für eine Weile alleine lassen kann.

Ideen für die Selbstfürsorge und für achtsame Minipausen im Familienalltag

  • kurz auf den Balkon gehen, den Fokus auf unseren Atem richten und den Frühling einatmen.
  • jeden Morgen den Baum vor dem Fenster betrachten, mit den Augen auf etwas Schönem verweilen – die Veränderung in der Natur wahrnehmen.
  • etwas kochen, das MIR gut schmeckt
  • beobachten, wie viele Nachrichten betreffend Corona ich ertrage, und diese entsprechend dosieren
  • wenn die Kinder spielen, Pause machen, statt alles zu erledigen, was noch zu tun ist
  • den Partner, die Partnerin umarmen
  • den Partner, die Partnerin bei Bedarf um Hilfe bitten (kurze Pause, Unterstützung im Haushalt, Kind im Wutanfall begleiten)
  • Bewegung mit oder ohne Kind einbauen (kurze Atemübung, 10-Liegestützen, 1min Planking, tanzen zu Musik)
  • sich zum Kind auf den Boden legen und strecken
  • ins Auto sitzen und in Ruhe 10 Minuten lesen
  • zwei Minuten länger als nötig auf dem WC sitzen bleiben, ganz allein
  • 30 Minuten lang einen Gehörschutz (Oropax) anziehen
  • 50 Meter in Zeitlupe gehen und dabei jede kleine Bewegung wahrnehmen (achtsames Gehen)
  • Dem Kaffee zuschauen, wie er aus der Maschine fliesst
  • Die Hand aufs Herz legen und die Hand wahrnehmen
  • 5 Minuten aufs Bett legen, durchatmen und nichts tun
  • Den eigenen Körper abklopfen von oben bis unten – so die Körpergrenzen wahrnehmen

Was hindert uns daran, gut für uns selbst zu sorgen?

  • Das Gefühl, keine Zeit dafür zu haben.
  • «Ich muss noch…»
  • Handy und Computer
  • Wir vergessen, dass wir eine Pause machen können und dürfen.
  • Vielleicht erleben wir Pausen als unangenehm, weil dann Unruhe aufkommt, und wir werden von vielen Gedanken überfallen
  • Möglicherweise kommen Fragen auf, was wir wert sind, wenn wir gerade nichts leisten.
  • Manchmal mischen sich vielleicht Stimmen ein, die sagen: “Du bist faul, egoistisch etc.“

Vielleicht sagen Sie jetzt «Mein Kind lässt mich nicht». Dann möchte ich Ihnen Mut machen, sich dafür stark zu machen – für Ihre Pausen. Kinder können lernen, kurz zu warten, 1-5min auf jeden Fall. Vielleicht brauchen sie etwas Übung darin und klare Signale, dass uns die Pause wichtig ist.

Dieser Text von mir ist im März in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Artikel als PDF deownloaden.

Was willst Du mir sagen?

Stille Wasser sind tief

Botschaften von Kindern verstehen

Botschaften von Kindern zu verstehen ist oft eine Kunst. Unserer Kinder haben jedoch immer einen guten Grund, sich so zu verhalten, wie sie das eben tun.

Von Maya Risch

In der Beratung erzählte mir kürzlich ein Vater, was er auf einer Wanderung erlebt hatte: «Als wir im Bergrestaurant waren, kletterte mein dreijähriger Sohn auf einmal auf den Holztisch und begann, darauf hin- und herzulaufen.» Das machte mich neugierig. Warum stieg dieser Junge auf den Tisch und ging darauf spazieren? Wollte er zeigen, wie gross er schon ist? Wollte er erkunden, wie die Welt von oben aussieht? Oder wollte er einfach seine Eltern provozieren und machte etwas, wovon er wusste, dass er es nicht durfte?

Kinder reagieren auf ihre Umwelt

Kinder haben fast immer einen guten Grund für ihr Verhalten. Sie reagieren damit auf ihre Umwelt. Für uns ist dieses Verhalten zwar manchmal ein Rätsel, es nervt uns oder wir fühlen uns dadurch provoziert. Oder wir finden, wir hätten keine Zeit für diesen «Blödsinn» und wollen, dass das Kind Ruhe gibt und sich anständig benimmt.

Der Vater berichtete weiter, dass er damals gerade einen guten Tag gehabt habe und nicht gleich losschimpfte, sondern fragte: «Was machst du denn da oben? Ich will nicht, dass du mit Schuhen auf dem Tisch herumgehst. Komm runter!» Der dreijährige Knirps antwortete: «Ihr habt mir nicht zugehört!» Aha! Der Kleine wollte mit seiner Aktion also ausdrücken, dass er bereits mehrmals versucht hatte, etwas zu fragen oder zu erzählen, was gerade wichtig für ihn war, die Eltern ihn nicht gehört hatten. Mit seinem Verhalten erhielt er die gewünschte Aufmerksamkeit natürlich schnell.

Der Vater reagierte ruhig: «Ja, das ist wahr, wir haben gerade gar nicht gemerkt, dass du uns etwas sagen wolltest. Danke, dass du uns darauf aufmerksam gemacht hast. Komm runter und ich höre dir zu». Hätte der Vater einen «schlechten» Tag gehabt, wäre er sauer geworden und hätte das Kind vielleicht angeschrien und gemassregelt. So hätte er eine Chance verpasst, die Beziehung zu seinem Sohn zu stärken und wertzuschätzen, dass sein Junge sich schon so klar ausdrücken konnte.

Interesse zeigen und hinterfragen

Für uns Eltern ist es meist schwierig, die versteckten Botschaften unserer Kinder zu verstehen. Insbesondere dann, wenn sich Kinder nicht konform verhalten, Widerstand leisten, Regeln überschreiten oder wir uns sonst irgendwie provoziert fühlen. Aggressives Verhalten von Kindern wird immer durch etwas ausgelöst. Das Kind hat seinen guten Grund, wenn es aggressiv wird, Widerstand leistet oder sich zurückzieht. Mit seinem Verhalten will es uns etwas sagen, was ihm jedoch selber meistens nicht bewusst ist.

Gelingt es uns, das Verhalten des Kindes als Einladung zu sehen, uns dafür zu interessieren, was das Kind bewegt, können wir, wie der Vater im Beispiel, manchmal verstehen, was uns das Kind mitteilen will.

So erkennen Sie versteckte Botschaften

Ihr Kind verhält sich anders als Sie es erwarten? Vielleicht will es Ihnen etwas mitteilen. Diese Botschaften könnten hinter der Aktion stehen:

«Mir geht es gerade nicht so gut, ich weiss mir nicht mehr selber zu helfen. Kann bitte jemand sehen, was mit mir los ist?”

«Ich kann nicht mehr ruhig spielen, ich brauche Bewegung.»

«Ich habe Hunger, Durst, bin müde. Ich brauche essen, trinken, schlafen.»

«Mir fehlt die Nähe zu euch, ich fühle mich alleingelassen und unverstanden. Ihr habt so viel zu tun mit dem Baby, der Arbeit, dem kranken Opa, …»

«Ich habe zu wenig Selbstbestimmung, kann nicht mitbestimmen. Nichts darf ich. Immer sagt ihr Nein.»

«Ihr kommt mir zu nahe. So fühle ich mich nicht wohl.»

«Ihr vertraut mir nicht. Nichts darf ich selber machen. Ich brauche mehr Vertrauen.»

«Ihr sagt nie Nein, ich fühle mich orientierungslos.»

Lange Zeit dachte ich, dass Kinder sagen können, was ihnen nicht passt und was sie brauchen, so wie der kleine Junge im Beispiel am Anfang. Dass dies eine Ausnahme ist, lernte ich von meinem Sohn, als er etwa 10 Jahr alt war. 

Auch ältere Kinder senden Botschaften

Eine Zeit lang entstand bei uns zu Hause an praktisch jedem Abend beim Zähne putzen und ins Bett bringen schlechte Stimmung und Streit. Mein älterer Sohn war gereizt und ärgerte seinen Bruder. Es begann mit einem Necken, dann folgte ein Abwerten, Schubsen – und so ging es weiter. Der Jüngere liess sich das nicht gefallen und wehrte sich, wurde laut und grob. Ich hielt den Lärm und die Spannung nicht aus und wurde auch laut. Nach einigen Tagen kam mir in den Sinn, dass mir mein älterer Sohn vielleicht etwas mitteilen wollte. Aber ich kam einfach nicht drauf, was dies sein könnte.

Einige Abende später reagierte ich etwas genervt aus dem Bauch heraus: «Ich verstehe einfach nicht, was los ist am Abend. Jeder Abend endet im Streit. Willst du vielleicht, dass ich dich, meinen älteren Sohn, wieder einmal zuerst ins Bett begleite?» Zu meiner grossen Überraschung antwortete er mit einem einfachen «Ja». Einen Moment lang war ich sprachlos über diese unerwartet klare Antwort, dann sagte ich: «Aha, dann sag mir das doch, das mache ich gern. Es wäre so viel einfacher für mich und uns alle, wenn du uns sagen würdest, was dich stresst.» Darauf erwiderte er: «Wenn ich das gekonnt hätte, hätte ich es ja gemacht.»

An diesem Abend wurde mir klar, dass ich die Fähigkeit von Kindern, ihre Bedürfnisse zu äussern, überschätzte. Ich realisierte, dass dies auch für ältere Kinder gilt, die sich sonst sprachlich sehr gut ausdrücken können.

Ist es nicht so, dass auch wir Erwachsenen nicht immer wissen, warum wir genervt, traurig oder aggressiv sind und was wir brauchen, damit es uns besser geht? Oft fehlen doch auch uns die passenden Worte oder wir wagen nicht, sie auszusprechen. Ist es da erstaunlich, dass dies Kindern noch viel schwerer fällt?

Dieser Text von mir ist im Januar 2020 in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen

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Ich will aber

Ich will aber - Selbstwertgefühl stärken, Starke Kinder

“Ich will aber” – Wie Kinder lernen, ihre Bedürfnisse zu erkennen

Kinder haben sowohl Wünsche als auch Bedürfnisse. Ersteres müssen wir nicht immer erfüllen. Wie lassen sich diese beiden Dinge unterscheiden? Wie gehen wir damit um, wenn das Kind sagt: “Ich will aber.”

Dieser Text von mir ist im November 2019 in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen

Kinder wünschen sich viel Spielzeug, doch Zuwendung der Eltern, etwa in Form gemeinsamer Aktivitäten, brauchen sie wirklich.

Von Maya Risch

Kinder wollen Weihnachtsgeschenke, Glace, Süssigkeiten, ins Schwimmbad gehen, ein eigenes Handy, fernsehen und vieles mehr. Kinder wissen sehr genau, was sie wollen, setzen sich dafür ein, und kämpfen dafür. Sie wissen jedoch oft noch nicht, was sie wirklich brauchen, nämlich Nähe, Schlaf, Selbstwirksamkeit, Beziehung, Kontakt, sich wertvoll fühlen für die Gemeinschaft, Liebe, Sicherheit, Orientierung.

Deshalb haben sie uns Eltern. Wir müssen ihnen helfen, das eine vom anderen zu unterscheiden. Was Kinder wollen, sind Wünsche, bei dem, was sie brauchen, geht es um ihre Bedürfnisse. Diese können sie meistens noch nicht in Worte fassen, deshalb sind diese zum Teil unter Wünschen versteckt oder werden verwechselt.

Kinder müssen erst lernen, ihre Bedürfnisse zu erkennen

Als mein Sohn ungefähr 5 Jahre alt war, wollte er abends regelmässig beim ins Bett gehen plötzlich nochmal etwas essen, weil er Hunger hatte. Das erstaunte mich, weil er doch gerade kurz vorher ausgiebig zu Abend gegessen hatte und satt sein musste. In dieser Phase wollte er auch tagsüber immer mal wieder etwas essen, und zwar immer dann, wenn er sich schwach fühlte und keine Kraft zum Spielen mehr hatte.

Erst nach längerer Zeit erkannte ich, dass er sein Bedürfnis nach Schlaf nicht von jenem des Hungers unterscheiden konnte, weil beides das Gefühl von Kraftlosigkeit mit sich brachte. Als ich ihm Worte für dieses Gefühl gab und er verstand, dass auch Schlaf frische Energie gibt, erweiterte sich nicht nur sein Wortschatz, sondern er lernte auch, das eine Bedürfnis vom anderen zu unterscheiden.

Wenn wir Kindern Worte geben für das, was sie tun und benennen, was sie gerade erleben, lernen sich die Kinder immer besser kennen. So tragen wir viel dazu bei, dass sie ihre Bedürfnisse immer klarer ausdrücken können.

Weihnachten ist die Zeit vieler Wünsche

Bald ist Weihnachten. Da wünschen sich die Kinder besonders viel; Spielsachen, Süssigkeiten, elektronische Geräte und mehr. Dass das Kind Wünsche äussert, ist vollkommen in Ordnung. Das Christkind freut sich über die Wünsche, wir Eltern meistens weniger, vor allem dann nicht, wenn sie plötzlich mitten im Geschäft geäussert werden und sofort erfüllt werden sollen. Das macht uns Stress, weil wir glauben, uns schnell für «Ja» oder «Nein» entscheiden zu müssen.

Dabei braucht das Kind in erster Linie, dass wir ihm zuhören und uns dafür interessieren, was es sich wünscht. «Was findest du so faszinierend an der Zuckerwattemaschine?» «Ach so, dir gefällt, dass du damit selber etwas herstellen kannst», «Was gefällt dir denn so gut am neuen Playmobilhaus?», «Ich wusste gar nicht, dass du so gern eines haben möchtest, um mit deiner Freundin damit Krankenhausgeschichten zu spielen.»

Weil wir schon ein auf dem Boden liegendes, schreiendes Kind vor unserem inneren Auge sehen oder denken, keine Zeit zu haben, geraten wir oft sehr schnell in eine Abwehrhaltung und verpassen damit eine Chance für einen Dialog. Und damit eine Gelegenheit, mit dem Kind in Beziehung zu sein und etwas darüber zu erfahren, was unserem Kind so gefällt, und was ihm etwas bedeutet.

Denn das Kind will immer beides, die Zuckerwattemaschine bekommen und Kontakt mit uns haben. Lassen wir uns auf seinen Wunsch ein und hören ihm zu, erfüllen wir sein Bedürfnis nach Kontakt und emotionaler Nähe, auch wenn wir nachher sagen: «Nein, ich kaufe das Playmobilhaus jetzt nicht.»

Wünsche können und müssen nicht immer erfüllt werden

Dass wir uns dafür interessieren was dem Kind an der Zuckerwattemaschine gefällt, bedeutet nämlich nicht, dass wir ihm diese kaufen müssen. Bestimmt haben Sie auch schon erlebt, dass es so ist, dass ein erfüllter Wunsch das Kind zwar kurzfristig «glücklich» macht, die Zufriedenheit aber meist nicht lange anhält.

Denn das Playmobilhaus zu bekommen, trägt nichts dazu bei, sich geliebt  und als wertvoller Teil der Gemeinschaft zu fühlen. Und das strebt das Kind eigentlich an. Wie ist es denn bei uns, wenn wir uns ein neues Paar Schuhe leisten, das wir uns gewünscht haben? Kann dies unser Bedürfnis nach Wertschätzung für unser Engagement in der Familie ersetzen?

Auch Eltern haben Bedürfnisse

Das Wohlbefinden und die Kooperationsbereitschaft der Kinder hängt in den ersten Lebensjahren stark davon ab, ob ihre Bedürfnisse wahrgenommen und zeitnah erfüllt werden. In der ersten Lebensphase unserer Kinder müssen wir Eltern unsere eignen Bedürfnisse immer wieder sehr zurückstellen, jene der Kinder stehen im Zentrum.

Kinder brauchen Hilfe beim Einschlafen, dabei sich zu regulieren, wenn sie aufgeregt oder wütend sind, sie brauchen Nahrung, Zeit mit uns Eltern, ohne dass wir dabei auf unser Handy schauen, sie brauchen Kontakt, Zuwendung und Nähe, und sie brauchen Erwachsene, die ihnen die Welt erklären.

Auf lange Sicht können wir allerdings nur dann gut für unser Kind sorgen, wenn wir auch unsere eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen verlieren. Im Verlauf der Jahre können die Kinder lernen, ihre Bedürfnisse auch mal kurz aufzuschieben, und wir können und sollen unsere eigenen Bedürfnisse wieder vermehrt wahrnehmen und auch mal in den Vordergrund stellen.

So sorgen wir dafür, dass sich unser Energietank wieder füllt und übernehmen die Verantwortung für unser Wohlbefinden. Das Kind lernt am Vorbild, dass auch wir Bedürfnisse haben und erhält eine Idee davon, wie Selbstfürsorge und Eigenverantwortung aussehen können.

Ich wünsche allen viel Erfolg dabei, Wünsche von Bedürfnissen zu unterscheiden und dass es immer wieder gelingt, «JA» zur Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu sagen.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Arikel als PDF dowloaden.

Nein sagen und gelassen bleiben

Nein sagen und gelassen bleiben

Wenn wir Nein sagen, kämpfen und wüten Kinder oft. Wie wir gelassen bleiben können und uns zu beruhigen anstatt das Kind, beschreibt dieser Artikel.

Dieser Artikel von mir ist im Oktober 2019 in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Von Maya Risch

Immer wieder müssen wir als Eltern Grenzen ziehen. Sei es, weil unsere persönliche Grenze erreicht ist, weil wir das Kind vor einer Gefahr schützen müssen oder weil Kinder noch nicht wissen, was sie brauchen.

Das bedeutet, dass wir immer mal wieder «Nein» sagen müssen. Die Reaktionen und Konflikte auszuhalten, die durch ein «Nein» ausgelöst werden, finde ich oft anstrengend.

 Weshalb Konflikte zum Familienalltag gehören

«Mama, kann ich ein Glacé haben?», fragt mein Sohn mich oft, denn er liebt Glacé. «Nein, du darfst jetzt kein Glacé haben, Du hattest bereits ein Dessert. Morgen gehen wir in den Zoo, dann kannst du mich nochmals fragen.»

Was ich jetzt am liebsten hören würde, wäre eine Antwort wie: »Alles klar, dann freue ich mich auf morgen.» oder mindestens ein «Ok.» Leider passiert das höchst selten, denn gesunde Kinder stehen für ihren Wunsch ein und sie müssen mit unserem «Nein» nicht einverstanden sein. Ihr Wunsch prallt auf unser «Nein» und ein Konflikt entsteht.

Diese Konflikte gehören zum Familienalltag wie Ketchup zu Pommes. Da ich harmoniebedürftig bin, hatte ich früher eine Abneigung gegenüber Konflikten. Ein Konflikt entsteht aber bereits, wenn ich etwas anderes will als mein Gegenüber. Das kommt in jeder Beziehung regelmässig vor. Erst seit ich dies verstanden habe, kann ich Konflikte als natürlichen Bestandteil des Zusammenlebens akzeptieren und sehe nicht mehr in jedem Konflikt sofort ein bedrohliches Problem. Entscheidend ist, wie wir mit solchen Konflikten umgehen, ohne destruktiv zu werden, also ohne das Kind zu beleidigen und abzuwerten oder anzubrüllen.

Wenn Eltern «Nein» sagen, steht das Kind für ein «Ja» ein

Wenn ich «Nein» sage, beginnt mein Kind, besonders wenn es so zwischen 2 und 6 Jahren alt ist, zu schreien und zu wüten. Es will ein «Ja» der Eltern erreichen und das ist gesund.

Viele Eltern entscheiden sich heute gegen den Gehorsam als oberstes Gebot in der Erziehung. Sie halten stattdessen Werte wie Gleichwürdigkeit und den Schutz der Integrität hoch. Sie nehmen die Gefühle ihrer Kinder ernst, und die Kinder haben keine Angst, ihre Gefühle klar zu zeigen. Darum drücken diese Kinder auch ihre Frustration meistens lautstärker aus als Kinder, die Angst haben, bestraft zu werden, wenn sie nicht sofort ruhig sind.

Vielfach erleben wir die Gefühlsausbrüche unseres Kindes als Kampf gegen uns und oft auch als Provokation. Dabei geht es dem Kind nicht darum, gegen uns zu kämpfen, sondern es steht einfach für sich ein. Es ist frustriert, weil es nicht bekommt, was es will. Es kämpft, damit wir endlich «Ja» sagen und es doch noch ein Glacé bekommt und das ist völlig in Ordnung. Für uns ist das allerdings meistens schwierig auszuhalten.

Warum Kinder wüten und weinen

Merkt das Kind dann, dass wir Eltern (wenn möglich ruhig und entspannt) bei unserem Entscheid bleiben, weint es in vielen Fällen darüber. «Ach nein, jetzt versucht es seinen Wunsch noch mit dem Druck auf die Tränendrüse durchzusetzen», denken einige an dieser Stelle vielleicht. Das Kind weint jedoch, weil es gerade einen Verlust erlitten hat. Es ist traurig, dass es nicht erhalten kann, was es sich gerade so sehr wünscht.

Halten wir auch das aus, was uns oft noch schwerer fällt, beruhigt sich das Kind und eine tiefe Ruhe kann einkehren. Diese Selbstregulation, den Prozess, der im Körper während des Wütens und Weinens abläuft, bis zum Ende durchleben zu können, ist essentiell für die Entwicklung von Frustrationstoleranz.

Diese Zusammenhänge zu verstehen ist hilfreich, denn so müssen wir das Schreien, Weinen und Wüten nicht persönlich nehmen und wissen, dass wir nichts falsch machen, wenn wir «Nein» sagen. Trotzdem bleibt es schwierig, den Stress auszuhalten, den das Verhalten des Kindes in uns auslöst.

Das Kind braucht unsere Nähe und unseren Trost

Damit dieser Stress möglichst rasch wieder verebbt, versuchen wir, das Kind zu beruhigen, zu beschwichtigen und zu trösten, wenn es wütend oder traurig ist.

Der oben erwähnte Prozess ist für das Kind zwar anstrengend, aber im Allgemeinen kommt es gut klar damit.

Wir Eltern sind es, die viel mehr Schwierigkeiten damit haben, und darum ist allen besser gedient, wenn wir versuchen, uns darum zu kümmern, uns selber zu regulieren, damit wir für das Kind auch danach wieder präsent sein zu können, wenn es im Anschluss Nähe und Trost sucht.

Wie kann uns das gelingen?

Hier einige Tipps, die auch von Eltern in meinen Kursen geäussert wurden:

  • Den Gefühlen des Kindes Worte geben, indem ich etwa sage: «Ich sehe, dass du wütend bist darüber, dass ich Nein gesagt habe, das ist in Ordnung.»
  • Dem Kaffee zuschauen, wie er ganz langsam aus der Maschine fliesst.
  • Mich auf meinen Atem konzentrieren und durchatmen.
  • Die Aufmerksamkeit auf die Füsse richten und den Boden unter den Füssen wahrnehmen.
  • Sich bewegen, hüpfen, stampfen, klatschen, um nicht zu explodieren.
  • Das Gesicht mit kaltem Wasser waschen.
  • Putzen, staubsaugen, aufräumen oder Geschirr waschen.
  • Dem Kind sagen: «Dein Schreien ist zu laut für meine Ohren und macht mich unruhig. Ich muss mich kurz selber beruhigen und gehe kurz raus auf den Balkon und komme gleich wieder.»

Abstand zur Situation gewinnen

Distanz schaffen ist sinnvoll. Allerdings ist es wichtig, dass wir dem Kind ruhig sagen, warum wir weggehen: «Hör mal, ich halte es nicht mehr aus, dass du so schreist, ich muss mich selber beruhigen und komme gleich wieder.» Sagen wir nichts, erlebt das Kind unser Handeln als Bestrafung oder Kontaktabbruch, und dieser macht kleinen Kindern oft Angst oder das Kind fühlt sich falsch.

Wenn wir es schaffen, uns selber zu regulieren, hilft das auch unserem Kind. Es spürt, wie wir ruhig werden und kann zusammen mit uns wieder runterfahren, als würde es mit uns in einen Lift einsteigen und hinunterfahren. Dies wird auch Co-regulation genannt. Kleine Kinder brauchen das – manche grössere auch –, weil sie sich alleine noch nicht gut regulieren können.

Was hilft Ihnen am besten, sich selber zu regulieren? Trauen Sie sich, damit zu experimentieren!

Erzählen Sie dann Ihrem Kind in einem ruhigen Moment davon, was Ihnen hilft, sich zu beruhigen. So bekommt es Ideen für sich selber und lernt Selbstregulation.

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Mut zu persönlichen Grenzen

Mut zu persönlichen Grenzen

An manchen Tagen können Eltern Kinderlärm nur schwer ertragen. Vielleicht ist es an der Zeit, eine persönliche Grenze zu formulieren?

Von Maya Risch

Kinder brauchen Grenzen! Kinder brauchen Freiheit, um sich gesund zu entwickeln! Zwei widersprüchliche Sätze, die wir Eltern immer wieder zu hören und zu lesen bekommen. Wie sollen wir mit diesem Widerspruch umgehen? Setze ich meinem Kind zu wenig Grenzen? Wird es so zu einem unsozialen Menschen heranwachsen, der nicht gelernt hat, andere zu respektieren? Schränke ich mein Kind zu stark ein? Behindere ich seine Entwicklung und mein Kind entwickelt sich zu einem unsicheren Erwachsenen? Solche und ähnliche Fragen stellen sich Eltern immer wieder.

Kinder sollen auf jeden Fall ihre eigenen Grenzen erfahren und diese, ihre Fähigkeiten und Grenzen, ausweiten dürfen. Sie brauchen zudem Erwachsene, die klare persönliche Grenzen ziehen.

Grenzen so zu erfahren, gibt Orientierung und Sicherheit. Impulskontrolle und Frustrationstoleranz können sich entwickeln.

Kinder erfahren eigene Grenzen und stossen an unsere Grenzen

Kinder wachsen und entwickeln sich. Sie entdecken die Welt, erobern Räume und erweitern ihren Aktionsradius laufend. Dabei erleben sie einerseits immer wieder Erfolge, andererseits, dass sie an ihre eigenen Grenzen stossen, zum Beispiel wenn sie als Einjährige versuchen zu laufen und umfallen oder später den Reissverschluss selber zuzumachen versuchen und das nicht auf Anhieb klappt – oder wenn sie auf einen Baum klettern wollen und den Ast noch nicht erreichen können.

Es ist nicht die Aufgabe des Kindes, unsere Grenzen zu spüren, sondern es ist unsere Aufgabe, diese klar und deutlich erkennbar zu machen.

Wenn wir die Kinder ermutigen, Erfahrungen zu machen, sie selber Lösungen suchen lassen, ohne gleich helfend einzuschreiten, tragen wir viel zu einer gesunden Entwicklung ihrer Frustrationstoleranz und Selbstwirksamkeit bei. Gleichzeitig erfahren und erleben Kinder hier Grenzen; Limits, die sich auf Grund ihres eigenen Könnens und Lernens natürlich ergeben. Diese Grenzen dürfen sie erweitern. Die Überwindung derselben führt letztendlich oft zu Erfolgserlebnissen und so zur Stärkung ihres Selbstvertrauens.

Kinder erleben auch Einschränkungen, wenn sie an die Grenze von uns Eltern stossen. Dann sagen wir als Eltern oft: «Ich komme an meine Grenze mit meinem Kind» und meinen damit, dass ihre persönliche Grenze erreicht ist. Das ist gut und zeigt uns Eltern, dass der Moment gekommen ist, dem Kind diese, unsere Grenze deutlich zu machen. Häufig denken wir in solchen Momenten, dass das Kind doch selber merken sollte, dass jetzt genug ist. Das kann und tut es aber in der Regel nicht. Es ist nicht die Aufgabe des Kindes, unsere Grenzen zu spüren, sondern es ist unsere Aufgabe, diese klar und deutlich erkennbar zu machen.

Unterschied zwischen Regeln und persönlichen Grenzen

Menschliche Gesellschaften brauchen soziale Regeln, Gebote und Verbote wie z.B. Verkehrsregeln oder das Verbot zu stehlen. Auch Familien brauchen ein paar wenige Regeln und Verbote. Diese Regeln sind allgemeine, unpersönliche Grenzen.

Allgemeine Grenzen sind starr. Kinder erleben diese Art von Grenzen oft als willkürliche Einschränkung ihrer Freiheit. Gesunde Kinder von heute nehmen diese Einschränkung selten einfach so hin, sondern rebellieren dagegen. So entstehen anstrengende Machtkämpfe, bei denen beide Seiten viel Energie verlieren und die einer guten Beziehung im Weg stehen. Deshalb ist es wichtig, nur so viele dieser Regeln aufzustellen, wie wir wirklich als dringend nötig erachten. Drei bis vier reichen aus.

Natürlicherweise dehnen Kinder ihre Aktivitäten so weit aus, leben so weit nach ihren Vorstellungen, bis sie an unsere Grenzen stossen, oder an die Grenzen einer sozialen Gruppe oder eines anderen Gegenübers.

Diese Grenzen sind persönlich, von Person zu Person anders. Nicht nur, weil sie von Mensch zu Mensch variieren, sondern auch weil sie von Tag zu Tag unterschiedlich sein können. Wir haben nicht jeden Tag gleich viel Energie und Geduld, uns mit unseren Kindern zu beschäftigen und z.B. Lärm auszuhalten. Entscheidend ist nun, dass wir diese Grenzen ehrlich als das kommunizieren, was sie sind, nämlich unsere persönliche Grenze im Hier-und-Jetzt.

Persönliche Grenzen – versus allgemeine Grenzen und Regeln

Im folgenden Beispiel zeige ich, wie wir mit allgemeinen oder persönlichen Grenzen auf ein Verhalten reagieren können.

Wenn mein Sohn alle Pfannen und Kochlöffel aus dem Küchenschrank hervorholt, um damit laut Musik zu machen, stört mich das heute vielleicht, da ich müde oder lärmempfindlich bin. Nun kann ich mich entscheiden. Will ich ein Verbot (starre Grenze) aussprechen? «Mit Pfannen spielt man nicht.» «Das Musikmachen mit Pfannen ist verboten.» Hier wird das Verhalten des Kindes eingeschränkt und das Kind ist aufgefordert, das Verbot ernst zu nehmen. Wenn ich die Grenze auch noch in einem scharfen Ton (schimpfend) aufstelle, fühlt sich das Kind ausserdem falsch mit seiner Idee, mit Pfannen musizieren zu wollen.

Bei einer persönlichen Grenze lernt das Kind etwas darüber, was mir wichtig ist, wie es mir gerade geht und lernt MICH ernst zu nehmen anstelle einer starren Grenze oder eines Verbots.

Ziehe ich eine persönliche Grenzen? Dann kann ich zum Beispiel zu meinem Kind sagen: »Nein, ich will nicht, dass du jetzt hier mit den Pfannen musizierst. Ich ertrage das gerade jetzt nicht, mir ist es zu laut.» «Du darfst gern in deinem Zimmer weitermachen. Ich sehe, dass dir das Spass macht.» oder «Diese Pfanne ist mir sehr wichtig, ich will nicht, dass du damit spielst.» So lernt das Kind etwas darüber, was mir wichtig ist, wie es mir gerade geht und lernt MICH ernst zu nehmen anstelle einer starren Grenze oder eines Verbots.

Beim Ziehen persönlicher Grenzen geht es darum, dass ich mich als Mutter/Vater in einer persönlichen Sprache klar auszudrücken, was, MIR gerade jetzt zu viel ist, wo ich gerade jetzt an meine Grenzen komme und was ICH WILL oder NICHT WILL. Hilfreich ist es, dem Kind gleichzeitig zu zeigen, dass ich seinen Wunsch oder das Bedürfnis gehört, wahrgenommen habe. Sein Verhalten und was es will ist ja nicht falsch.

Persönliche Grenzen zu ziehen braucht Mut und Klarheit

Wir können uns nicht hinter Allgemeinplätzen oder unserer Rolle als Elternteil verstecken, sondern müssen Farbe bekennen. Und das fällt uns im Allgemeinen viel schwerer, als uns lieb ist.

Wenn Kinder erleben, dass ihre Grenzen wahrgenommen und respektiert werden, sind sie viel öfter bereit, uns und unsere Grenzen ebenfalls ernst zu nehmen.

Manchmal überschreiten Kinder unsere Grenzen. Sie tun das meistens, weil sie unsere Grenzen (noch) nicht kennen oder nicht klar wahrnehmen – und nicht, um uns zu provozieren oder zu ärgern. Sie stehen für sich und ihre Wünsche und Bedürfnisse ein und wollen dabei herausfinden, was uns wirklich wichtig ist und was wir wirklich nicht wollen. Ihre Bedürfnisse oder Wünsche prallen auf unsere, ein gesunder Konflikt entsteht. Darüber, wie wir damit umgehen können, ein andermal mehr.

Im Zusammenhang mit Grenzen dürfen wir nicht vergessen, dass auch unsere Kinder persönliche Grenzen haben. Sie zeigen schon früh, ob ihnen körperliche Nähe angenehm ist oder ob sie genug gegessen haben, ob sie Ruhe brauchen oder nicht länger allein sein mögen. Hier sind es wir Erwachsenen, die lernen müssen die Grenzen der Kinder wahr- und ernstzunehmen.

Wenn Kinder erleben, dass ihre Grenzen wahrgenommen und respektiert werden, steigt ihre Kooperationsbereitschaft und sie sind viel öfter bereit, uns und unsere Grenzen ebenfalls ernst zu nehmen.

Einladung zur Selbstreflexion

Wie gut achten Sie auf Ihre Grenzen bezüglich Energie und Müdigkeit? Wie oft nehmen Sie Ihre Grenzen zu spät war und sorgen zu wenig für sich? Kommt es dann vor, dass Sie unbeherrscht auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder reagieren? Wie ernst nehmen Sie die Grenzen Ihres Kindes?

Buchtipps:
Rolf Sellin, «Bis hierher und nicht weiter!»: Wie Sie sich zentrieren, Grenzen setzen und gut für sich sorgen.

Jesper Juul, «Nein aus Liebe» Klare Eltern – starke Kinder

Im September 2019 ist dieser Artkel von mir in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Artikel als PDF downloaden.

So wachsen Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl

So wachsen Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl

Die Unterscheidung von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen ist deshalb wichtig, weil sie unterschiedlich wachsen. Oft loben Eltern ihre Kinder in der Absicht, das Selbstwertgefühl zu stärken. Dieses braucht jedoch etwas anderes, um zu entstehen.

Selbstvertrauen allein reicht nicht, um zu einer starken Persönlichkeit heranzuwachsen. Eltern sollten auch das Selbstwertgefühl ihrer Kinder fördern.

Von Maya Risch

Wir Eltern wollen, dass unser Kind viel Selbstvertrauen und ein gesundes Selbstwertgefühl entwickelt. Beides, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind von grosser Bedeutung in unserem Leben.

Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die beiden Begriffe häufig synonym verwendet. Eine Unterscheidung ist aber nötig, weil sich Selbstwertgefühl anders entwickelt als Selbstvertrauen.

Selbstvertrauen oder Selbstwertgefühl?

Ich erlebe immer wieder, dass Eltern ihr Kind viel loben, in der Absicht, das Selbstwertgefühl des Kindes zu stärken. Dadurch wird jedoch stattdessen das Selbstvertrauen gestärkt. Wie Selbstwertgefühl wachsen kann, beschreibe ich gleich ein paar Zeilen weiter unten.

Selbstvertrauen

Beim Selbstvertrauen geht es um die Frage: Was kann ich? Wenn ich etwas gut kann, habe ich in diesem Bereich viel Selbstvertrauen. Das führt dazu, dass ich sagen kann:

«Ich fühle mich gut, weil ich in einem Thema gut Bescheid weiss, etwas gut kann, Leistung bringe oder etwas gut beherrsche.»

Das Selbstvertrauen unseres Kindes stärken wir, indem wir…

  • das Kind in einem guten Mass und bei guter Leistung loben.
  • die Selbstdisziplin stärken, also das Kind dazu anhalten, etwas zu üben, sich anzustrengen, dranzubleiben und erleben lassen, dass es damit etwas erreichen kann.
  • Erfolgserlebnisse hervorheben und feiern (Sport, Schule, neu erlernte Fähigkeiten): «Das kannst du gut», «Das hast du geschafft».

Selbstwertgefühl

Viel Selbstvertrauen zu haben, hilft leider nicht, das Selbstwertgefühl zu steigern.

Dazu fällt mir eine Szene aus dem Film «Cool Runnings» ein, in welchem der Trainer, ehemaliger Olympiasieger, von seinem jamaikanischen Bobpiloten gefragt wird: «Warum hast du eigentlich Doping genommen, nachdem du Olympiasieger geworden warst, das verstehe ich nicht. Du hattest doch alles erreicht.»

Seine Antwort: «Wenn du ohne Olympiasieg niemand bist, bist du auch mit Olympiasieg niemand.» Der Olympiasieg hatte zwar das Selbstvertrauen des Sportlers gestärkt, aber ihm nicht zu einem gesunden Selbstwertgefühl verholfen.

Umgekehrt kann ein gesundes Selbstwertgefühl dabei helfen, geringes Selbstvertrauen in einem Bereich auszugleichen. Das ist so, weil ein Kind mit einem guten Selbstwertgefühl den Mut hat, etwas, was es nicht sofort kann, nochmals zu versuchen und nicht gleich denkt «Das ist sowieso umsonst, ich bin nicht gut genug.»

Dies ermöglicht es ihm, zu erleben, dass seine Fähigkeiten durch Üben verbessert werden, was dann wiederum das Selbstvertrauen in diesem Bereich stärkt.

Ein gesundes Selbstwertgefühl ist der wirksamste Abwehrmechanismus gegen Schikanen, Mobbing, körperliche Gewalt und persönliche Kritik. – Jesper Juul

Beim Selbstwertgefühl geht es um die Frage: Wer bin ich? Wenn ich mich mit all meinen Eigenheiten annehmen kann, wie ich bin, habe ich ein gesundes Selbstwertgefühl. Dann kann ich von mir sagen:

«Ich fühle mich gut, weil ich bin, wer ich bin.» «Ich fühle mich wertvoll, auch wenn die Dinge nicht immer so laufen, wie ich es mir vorstelle.» «Meine ganze Persönlichkeit ist ok so wie sie ist, ohne dass ich etwas Bestimmtes leisten oder können muss.»

Mit einem gesunden Selbstwertgefühl erleben wir Konflikte und Kritik nicht als etwas Bedrohliches und nehmen diese nicht persönlich. Das hilft, reife Beziehungen einzugehen, begünstigt das soziale und kognitive Lernen und hilft auch dabei, Schwierigkeiten im Alltag gelassener zu meistern.

Das Selbstwertgefühl trägt somit massgeblich dazu bei, dass wir uns als Menschen wohl fühlen und unsere Lebensfreude und -qualität steigt.

Das Selbstwertgefühl unseres Kindes wächst, wenn es sich von mindestens einer wichtigen Person in seinem Umfeld bewusst «gesehen» und akzeptiert fühlt, so wie es ist und wenn es erlebt, dass es für andere Menschen wertvoll ist, ohne sich verstellen, zu sehr anpassen oder etwas leisten zu müssen.

Wir stärken das Selbstwertgefühl unseres Kindes, indem wir…

  • die Eigenheiten des Kindes annehmen.
  • ihm Eigenverantwortung überlassen.
  • seine Grenzen und Bedürfnisse ernst nehmen und in den Alltag einbeziehen.
  • dem Kind liebevolle Blicke schenken.
  • gemeinsame Zeit geniessen und mit dem Kind zusammen lachen.
  • präsent sind (ohne Handy) und dem Kind wirklich zuhören.
  • das Kind nicht mit anderen vergleichen – es ist einzigartig.
  • das Kind darin bestärken, seinen Gefühlen zu vertrauen.

Natürlich stärken wir das Selbstwertgefühl unseres Kindes auf vielfältige Weise auch über unsere Sprache. Dazu ein andermal mehr. Obige Ideen sollen zeigen, was wir ohne viele Worte mit unserer Haltung, Wertschätzung und Zuwendung zur Stärkung beitragen können. Kinder lernen durch das, was wir tun, oft mehr als dadurch, was wir zu ihnen sagen.

«Selbstwertgefühl stärken» ist übrigens eines der Themen, mit dem wir uns auch in meinen familylab Elterngruppen ausführlich beschäftigen.

Literaturtipp:
 Dan Svarre, «Du bist einzigartig» Starker Selbstwert – starkes Kind

Im Juni 2019 ist dieser Artikel von mir in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Artikel als PDF downloaden.

Aus Unsicherheit wird Stärke

aus Unsicherheit wird Stärke, kleine Pflanze braucht Pflege, Beziehung im Zentrum, wachsen

“Aus Unsicherheit wird Stärke”

Beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt suchen Kinder oft wieder vermehrt Nähe zu den Eltern.

Jeder Übergang in einen neuen Lebensabschnitt, zum Beispiel der Start in die Kita, den Kindergarten oder in eine andere Schulstufe, bringt Veränderungen mit sich und stellt eine Herausforderung für die Kinder und für uns Eltern dar.

Aufregung, Unsicherheit und manchmal auch Angst gehören in solchen Situationen dazu.

«Wie sind wohl die neuen KlassenkameradInnen? Wie die neuen LehrerInnen? Werde ich den Wecker hören am Morgen?», fragte sich mein 13-jähriger Sohn am Abend vor dem Schulstart dieses Jahr. Tatsächlich ging mit dem Wecker etwas schief und ich sorgte zum Glück aus der Ferne dafür, dass meine Nachbarin ihn rechtzeitig wecken geht und er einen guten Start in den ersten Tag hatte.

Kinder suchen wieder Nähe und Halt

In Übergangszeiten und Anfangssituationen brauchen wir viel Sicherheit. Nur wenn wir uns sicher fühlen, können wir Neues lernen und entspannt abwarten, was auf uns zukommt. Kinder brauchen in Übergangszeiten besonders viel Sicherheit und suchen darum vorübergehend oft wieder mehr Nähe und Halt.

So kann es zum Beispiel vorkommen, dass Ihr Kind nachts wieder ins Elternbett kommt oder sich nur noch von Mami ins Bett bringen lässt. Das ist die Art des Kindes, sich in der neuen Situation zu regulieren und in Ordnung, es darf eine Weile so sein.

Wenn Kinder sich längere Zeit unsicher fühlen oder Ängste überwiegen, brauchen wir Eltern (und auch die Lehrpersonen) viel Empathie und Geduld beim Begleiten des Kindes, damit der neue Ort zu einem sicheren Ort werden und das Kind an den Herausforderungen wachsen kann. Diese Erfahrung habe ich jedenfalls gemacht.

Wie wir unsere Kinder stärken können

  • Wir Eltern können zwar in der neuen Umgebung nicht direkt für unser Kind anwesend sein. Dennoch können wir einiges dafür tun, damit das Kind mit einem guten Gefühl am neuen Ort sein und Vertrauen entwickeln kann.
  • Unsere innere Haltung zum Übergang unseres Kindes beeinflusst das Gefühl des Kindes meistens sehr. Sind Sie selber zuversichtlich und neugierig?
  • Sind Sie unsicher? Macht es Ihnen Mühe, Ihr Kind ein Stück mehr loszulassen? Haben Sie Angst, dass Ihr Kind die Situation nicht meistern wird? Erfahrungsgemäss kennen die meisten Eltern solche Zweifel.
  • Kindern fällt es leichter, sich auf die neue Situation einzulassen und sich schnell an die neuen Anforderungen und Menschen zu gewöhnen, wenn wir Eltern ihm vermitteln: «Ich traue Dir diesen Schritt zu und habe den Eindruck, Du bist dort gut aufgehoben.»

Was können Sie tun, wenn es Ihnen schwerfällt, dies dem Kind zu vermitteln?

Indem wir uns bewusst sind, wie unsere Erfahrungen und Ängste uns in dieser Situation beeinflussen, merken wir vielleicht, dass die fehlende Zuversicht mehr mit uns selber zu tun hat als mit dem Kind. Dies zu erkennen hilft uns dabei, dem Kind Vertrauen entgegen zu bringen.

In diesem Prozess sind Gespräche mit dem Partner, FreundInnen sehr hilfreich. Ebenso tun Achtsamkeitsübungen, Atemübungen oder Yoga sehr gut, um sich selber zu regulieren und gut für das Kind da sein zu können.

Natürlich gibt es auch ein paar ganz konkrete Dinge, die Sie für Ihr Kind und die Beziehung zu ihm tun können, damit ein Übergang gelingt.

12 Tipps für einen gelingenden Übergang

  • Freiraum und Zeit zur Erholung und für freies Spiel schaffen (zum Beispiel Wochenendprogramm vorübergehend reduzieren).
  • Präsent zuhören, wenn das Kind von seiner Welt erzählt.
  • Gefühle (Angst, Unsicherheit, und so weiter), die das Kind zeigt, annehmen. («Ich verstehe Dich, das ist unangenehm und es gehört dazu und ist in Ordnung. Bald wirst Du Dich eingewöhnen.»)
  • Da-Sein für das Kind, ohne zu reden (zum Beispiel nebeneinander lesen oder arbeiten, es eventuell massieren oder mit ihm kuscheln).
  • Das Kind in Ruhe lassen, wenn es nichts erzählt.
  • Mit dem Kind besprechen, wie der nächste Tag, die Woche abläuft (eventuell visualisieren mit einem altersgerechten Plan).
  • Mit dem Kind klären, wer wofür verantwortlich ist (wecken, anziehen, den Weg zurücklegen, Hausaufgaben machen).
  • Freundschaften ermöglichen (zum Beispiel Kinder einladen, von denen das Kind erzählt).
  • Austausch mit FreundInnen oder/und anderen Eltern suchen (eventuell in einer Elterngruppe).
  • Dem Kind von eigenen Unsicherheiten bei Übergängen erzählen und davon, was uns dabei geholfen hat.
  • Gelassen bleiben, wenn es Rückschritte gibt, diese gehören oft zur Entwicklung.
  • Reizbarkeit und Aggression nicht persönlich nehmen (diese sind oft ein Ausgleich zur Anpassung tagsüber).

Neugier, Mut, Geduld und Vertrauen

Für uns Eltern gibt es mit dem Übergang des Kindes vielleicht neue Freiräume zu entdecken. Dadurch wird es möglich, eigene Bedürfnisse wieder mehr wahrzunehmen und zu erfüllen und für die eigene Zufriedenheit zu sorgen.

Allen, die gerade selber eine Anfangssituation zu meistern haben oder ein Kind dabei begleiten, wünsche ich viel Neugier, Mut zu lernen, Geduld, Vertrauen und eine Portion Gelassenheit, damit die anfängliche Unsicherheit bald von Zuversicht und neuer Stärke abgelöst wird.

Dieser Artikel von mir ist mit sehr ähnlichem Text m August 2019 in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Artikel von 2019 als PDF downloaden.

Eigenverantwortliche Kinder – verflixt schwierig auszuhalten

“Eigenverantwortliche Kinder – verflixt schwierig auszuhalten”

Kindern Eigenverantwortung zu überlassen ist für beide Seiten ein Gewinn, jedoch verflixt schwierig auszuhalten.

Im Mai 2019 ist dieser Artikel von mir in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch und im Juni 2019 auf dem mamablog des Tagesanzeigers erschienen.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Artikel als PDF downloaden.

Warum macht mein Kind nicht das was ich will?

Warum macht mein Kind nicht das was ich will?

Kinder wollen mit uns zusammenarbeiten und geliebt werden. Sie sind abhängig von uns und befinden sich immer wieder im Spannungsfeld zwischen Integrität und Kooperation. Sollen sie sich anpassen oder für sich einstehen?

Eltern und Kinder sprechen manchmal unterschiedliche Sprachen. Das provoziert Missverständnisse. Bild: cosmaa, iStock, getty Images Plus

Von Maya Risch

Mein Kind macht nicht das, was ich ihm sage!», höre ich Eltern in meinen Beratungen oft klagen. Ist dem wirklich so? Oder machen unsere Kinder vielleicht ganz oft, was wir ihnen sagen, aber wir achten uns erst dann darauf, wenn sie es nicht mehr tun?

Die Familie ist eine Gemeinschaft und Kinder sind soziale Wesen. Ihnen ist es wichtig, als wertvoller Teil dieser Gemeinschaft wahrgenommen zu werden. Deshalb ahmen sie uns nach und versuchen, sich unseren Vorstellungen anzupassen, mit uns zu kooperieren. Sie geben meistens ihr Bestes, um Anerkennung und Liebe von uns zu bekommen und sich als Menschen angenommen zu fühlen.

Gemeinschaft und Individualität

Auf der anderen Seite sind Kinder – wie auch wir Erwachsenen – Individuen mit einer eigenen Integrität. Damit ist gemeint, dass Kinder eigene Bedürfnisse und Grenzen haben, eine eigene Persönlichkeit, ebenso wie Eigenarten, Stärken und Schwächen.

Kinder, wie auch Erwachsene streben einerseits Zugehörigkeit zur Gemeinschaft an und wollen andererseits ihre Individualität leben. Das bringt uns alle immer wieder in einen inneren Konflikt.

Kinder bringen von Geburt an enorm viel Bereitschaft zur Kooperation mit. Das geht so weit, dass sie sich zum Teil in der Schule, im Kindergarten oder in der Tagesbetreuung weit über ihr Wohlbefinden hinaus anpassen. Sie sind den ganzen Tag oft freundlich, gehorsam, warten geduldig, halten sich an die Regeln, strengen sich an und halten Frustrationen aus. Kommen sie nach Hause, ist ihre Kooperationsbereitschaft aufgebraucht.

Warum Kinder schreien, jammern, verweigern

Da reicht eine Aussage wie «Häng deine Jacke auf!» oder «Mach deine Hausaufgaben!» und sie beginnen zu schreien, zu jammern oder alles zu verweigern. Leider sagt kaum ein Kind stattdessen: «Mami, Papi, ich kann nicht mehr, ich brauche jetzt einfach Zeit und Raum für mich und meine eigenen Bedürfnisse.» Aber genau darum geht es.

Weil sie dies verbal nicht ausdrücken können – Erwachsene übrigens häufig auch nicht –, setzen die Kinder ihre Grenzen lauthals. Sie versuchen auf diese Art, in ihr inneres Gleichgewicht zurückfinden. Meistens schaffen sie das aber nicht alleine, sondern brauchen unsere Hilfe, die in erster Linie darin besteht, ihr Verhalten nicht persönlich zu nehmen, sondern die Signale zu erkennen, die sie uns mit ihrem widerspenstigen Verhalten zu senden versuchen.

Erst in folgender Konfliktsituation mit meinem Sohn wurde mir richtig bewusst, dass ich diesen inneren Konflikt zwischen Kooperationsbereitschaft und Integrität bis zu diesem Zeitpunkt nur der Spur nach verstanden hatte:

«Endlich konnte ich seine Not erkennen»

Ein Morgen, mitten im Schuljahr. Unser Sohn stand fertig angezogen unter der Wohnungstür, weinte und sagte, er könne nicht in die Schule, weil er Bauchweh habe – eine regelmässig wiederkehrende Situation. «Nun bloss nicht nachgeben, sonst hört das nie auf», dachte ich. Ich drängte ihn, trotz seinem Unwohlsein loszugehen und sagte: «Schule ist deine Aufgabe, du musst trotzdem hingehen.» 

Als er mir dann unter Tränen verzweifelt sagte: «Das habe ich doch versucht. Siehst du denn nicht, dass ich schon so weit gegangen bin wie ich konnte, sonst wäre ich ja im Pyjama geblieben – ich kann nicht mehr weiter als bis hierher.» In dem Moment verstand ich endlich, was genau damit gemeint ist, dass Kinder kooperieren, so lange sie können und zum Teil darüber hinaus, zum Beispiel bis sie Bauchweh bekommen.

Endlich konnte ich seine Not erkennen, und die Schulpflicht wurde zweitrangig. Wir hatten einen sehr schönen, gemeinsamen Vormittag zu Hause, der unserer Beziehung extrem guttat. Ich spürte enorme Dankbarkeit auf seiner Seite, dass ich auf sein Dilemma reagiert und ihn dabei unterstützt hatte, das zu tun, was für ihn nötig war, um sein emotionales und physisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Dass das gelang, zeigte sich unter anderem darin, dass die Bauchschmerzen verschwanden, er am Nachmittag problemlos zur Schule ging und in den nächsten Tagen sehr gelöst war und sich kooperativ verhielt.

Meine Reaktion führte auch nicht wie anfangs befürchtet dazu, dass sich diese „Bauchwehsituationen“ gehäuft hätten. Im Gegenteil, sie nahmen ab diesem Moment deutlich ab.

Den Selbstwert unserer Kinder stärken

Wenn wir die Signale als solche erkennen und darauf mit Empathie, Vertrauen und Verständnis reagieren, dann unterstützen wir unsere Kinder darin, ihr Gleichgewicht wiederzufinden und stärken ihren Selbstwert.

Leider ist das viel einfacher gesagt als getan. Das Verhalten der Kinder trifft uns manchmal persönlich oder nervt uns, weil es als unverständliche Weigerung daherkommt. Zudem sind wir als Eltern nicht unbegrenzt belastbar und haben auch unsere eigenen Grenzen und Bedürfnisse. Und wir haben auch unsere Schwächen. Wir sind deshalb bei weitem nicht immer in einem Zustand, der es uns möglich macht, auf eine Weigerung in oben beschriebenem Sinn zu reagieren. Es lohnt sich aber, dies trotzdem zu versuchen.

Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen immer mal wieder gelingt, die bedingungslose Liebe zu sehen, die Ihr Kind Ihnen entgegenbringt und seine Bestrebungen wahrzunehmen, ein wertvoller Teil der Familie zu sein.

Literaturtipp:

Mehr zum Thema Integrität und Kooperation finden Sie hier:

«Dein kompetentes Kind» – Jesper Juul, Herder Verlag
Erhältlich auf www.familylab.ch

«Das gewünschte Wunschkind treibt mich in den Wahnsinn» Katja Seide und Danielle Graf, Beltz-Verlag

Im März 2019 ist dieser Artikel von mir in der Onlinezeitschrift www.familienleben.ch erschienen.

Mit einem Klick auf den Titel kannst Du den Artikel als PDF downloaden.

Ausstieg aus dem Machtkampf

Ausstieg aus dem Machtkampf

Machtkämpfe hinterlassen in erster Linie Verlierer. Sie tun keiner Beziehung gut. Obwohl wir das eigentlich alle wissen, schlittern wir doch immer wieder unvermittelt in Machtkämpfe, gerade als Eltern. Ausstieg aus dem Machtkampf ist deshalb nötig.

Und dann stecken wir darin fest. Wie ich kürzlich, als mein Sohn seine nassen Badesachen in der Schule vergass. Ich verlangte: «Geh bitte die Sachen im Schulhaus holen!» Er weigerte sich: «Nein!» «Ganz sicher gehst Du das jetzt holen!» Und schon waren wir in einen Machtkampf verstrickt. Druck erzeugt Gegendruck. Beide kämpften immer lauter und mit viel Kraft verbissen für das eigene Ziel, ohne einander richtig zuzuhören. Die Stimmung verschlechterte sich und eine konstruktive Lösung unseres Konflikts wurde unmöglich.

Die Ausgangslage war natürlich ein Konflikt, da ich etwas wollte und er etwas anderes. Es hätte trotzdem kein Machtkampf draus werden müssen, und doch geschieht genau dies immer mal wieder. Umso wichtiger stellt sich die Frage, ob und wie wir wieder aus diesem Kampf ausbrechen können.

Aus einem Machtkampf auszusteigen ist sehr schwierig, weil wir den Ausstieg als Niederlage erleben. Das eigene Ziel mittendrin aufzugeben fühlt sich nicht nur für das Kind sondern auch für mich als Erwachsene fast unmöglich an. Inzwischen habe ich aber einen Weg gefunden, der bei mir meistens funktioniert. Diesen möchte ich mit Euch teilen.

Wenn ich wahrnehme, dass ich in einen Machtkampf geraten bin, reagiere ich (an einem guten Tag) indem ich sage: “Ich merke, dass wir beide so verbissen kämpfen. Ich will aber gar nicht mit dir kämpfen. Lass uns später reden. Vielleicht kannst du mir dann sagen, wann du die Badehosen holst.”

Gelingt es mir so, den Druck wegzunehmen und auszusteigen, kann auch das Kind aufhören zu kämpfen. Der Konflikt ist damit zwar noch nicht gelöst, aber niemand fühlt sich als Verlierer und wir können wieder in Beziehung zueinander treten. Und oft kommt vom Kind auf einmal ein konstruktiver Vorschlag.

Familien- und Elternberatung

Aktuelle Veranstaltungen und Kurse

Weiterbildung für pädagogische Fachpersonen

Mit der erstmaligen Durchführung des Workshops «Tut Wut gut?» habe ich ein Thema aufgenommen, das mich selber schon lange beschäftigt und mir ein Anliegen ist.

Die rege Beteiligung und die vielen positiven Feedbacks haben mich sehr gefreut und bestärkt, danke dafür! Sie zeigen mir, dass der konstruktive Umgang mit Aggression in zwischenmenschlichen Beziehungen – sowohl mit der eigenen Aggression wie auch derjenigen des Gegenübers – nicht nur ein Thema für Eltern ist. “Tut Wut gut?” ist schon länger Teil meines Angebot. In der Folge habe ich auch Konzepte für Kurstage mit den Themen “Du hast angefangen! Nein, Du! – Konflikte unter Kindern gut begleiten”, “Grenzen wahren ohne Druck und Strafen” entwickelt.

Diese drei Kursthemen sind auch für interne Weiterbildungen direkt bei mir buchbar
Für Teams der Schule, Schulergänzenden Betreuung, Klassenassistenzen, Kita

Das sagen Teilnehmende zum Workshop “Tut Wut gut?”

Aktuelle Kurse 2024

15. und 16. Juli 2024
Sommercampus swch, Solothurn
“Tut Wut gut?” Konstruktiver Umgang mit Aggression im Berufsalltag


Nächster Workshop “Tut Wut gut?” für Eltern und Fachleute 2×2 Std. online

Weiterbildung für pädagogische Fachpersonen
Kibesuisse – Verband Kinderbetreuung Schweiz

Tut Wut gut?
Di, 09.04.2024, 09:15–16:45 kibesuisse, Josefstrasse 53, Zürich

Grenzen wahren ohne Druck und Strafen
Fr, 31.05.2024, 09:15–16:45 Klubschule Migros, Im Hauptbahnhof, Bahnhofplatz 2, St.Gallen

Du hast angefangen – Nein! Du!
Mi, 18.09.2024, 09:15–16:45 Haupt Verlag AG, Falkenplatz 14, Bern

Du hast angefangen – Nein! Du!
Do, 26.09.2024, 09:15–16:45 kibesuisse, Josefstrasse 53, Zürich

Tut Wut gut?
Do, 07.11.2024, 09:15–16:45 Klubschule Migros, Schweizerhofquai 1, Luzern

Grenzen wahren ohne Druck und Strafen
Di, 12.11.2024, 09:15–16:45 Klubschule Aarau, Bleichemattstrasse 42, Aarau

Kosten pro Kurstag: CHF 330.00
Kursbeschreibungen und Anmeldung: www.kibesuisse.ch


Diese Veranstaltungen habe ich bereits durgeführt für Fachleute, die im pädagogischen Bereich arbeiten

Oktober 2023: Interne Weiterbildung Team SEB (Schulergänzende Betreuung) Altendorf
“Grenzen setzen ohne Wenn und Aber” (Kibesuisse), 1 Tag à 6 Std.

November 2022:
Team Schulhort Mösli, Wallisellen, “Tut Wut gut?” für Hortpersonal, 3,5 Std.

Juli 2022: swch Lehrerbildungswochen “Konstruktiver Umgang mit Aggression von Kindern”, Luzern, 2 Tage à 6Std.

November 2021:
Kita Bern, Umgang mit Aggression, “Tut Wut gut?” für Kita-Mitarbeitende, 4 Std

Juli 2021: swch Lehrerbildungswochen “Konstruktiver Umgang mit Aggression von Kindern”, Schaffhausen 2 Tage à 6Std.

November 2020:
Kita Bern, Umgang mit Aggression, “Tut Wut gut?” für Kita-Mitarbeitende, 3 Std.

23. November 2019, Tagesfamilien Niederhasli – interne Weiterbildung, Thema: “Meine Grenzen – Deine Grenzen”

15. November 2019, Perspektive Weinfelden – interne Weiterbildung, Thema: “Tut Wut gut?” 3 Std.

25. Mai 2019 Kantonale Fachtagung Kindergarten, Wetzikon,
Ausschreibung und Anmeldung Fachtagung VKZ, Verband Kindergarten Zürich
Workshop zum Thema “Tut Wut gut?” 2,5 Std.

23.1.19  Schule Buchs SG – interne Weiterbildung für Lehrpersonen Hausaufgabenhilfe, Thema: “Tut Wut gut?”, 3,5 Std.

 

Mein Kind hört mich nicht – nimm dir fünf Minuten Zeit

Nimm Dir fünf Minuten Zeit für die Beziehung zu deinem Kind

Es ist Sommer beim Schwimmen im Wasser des Waldsees spritzt Wasser ins Sonnenlicht. Ich empfinde eine kindliche Freude dabei und geniesse das “Hier und Jetzt”, wie ein Kind, das in sein Spiel vertieft ist.

Oft reissen wir unsere Kinder aus ihrem “Hier und Jetzt” heraus, wenn wir ihnen Anweisungen geben. Wir wollen, dass sie das Zimmer sofort aufräumen oder sich sofort bereit machen, wenn wir zum Einkaufen wollen. Dann wundern wir uns, dass sie es nicht sofort tun, sich weigern, wehren und immer wieder entsteht daraus ein Machtkampf, der viel Zeit braucht – und Nerven.

Tipp: Wenn Du morgen Deinem Kind eine Anweisung geben willst, denk voraus und nimm Dir fünf Minuten Zeit – für Eure Beziehung.

Schau was Dein Kind gerade macht, nimm Kontakt auf, indem Du dich kurz hinsetzt und ihm z.B. Deine Hand auf die Schulter legst oder Blickkontakt herstellst. Wenn Du magst, kannst Du  auch eine Minute dafür verwenden, mit dem Kind über seine Tätigkeit zu sprechen. Äussere erst jetzt, was Du von ihm willst. Beobachte, ob das Kind Dir zuhört und lass ihm dann Zeit, sich von seinem Tun zu lösen. Warte ein paar Minuten und geh in dieser Zeit Deiner Arbeit nach oder mach eine Pause (ohne zu erwarten, dass das Kind sofort reagiert). Geh dann nochmals zum Kind und sag, was Du von ihm willst. z.B. “Komm, jetzt gehen wir los, zieh deine Jacke an.”

Oft wirkt diese achtsame, respektvolle Begegnung schon Wunder. Es entsteht weniger oft ein Machtkampf und das Kind fühlt sich respektiert. Sehr oft ist es dann bereit, sich von Dir führen zu lassen.

Das sagen Teilnehmende zum Workshop “Tut Wut gut?”

"Tut Wut gut?" Umgang mit Aggression, www.mayarisch.ch
"Tut Wut gut?" Umgang mit Aggression, www.mayarisch.ch
wütendes kleines kind

Das sagen Teilnehmende zum Workshop “Tut Wut gut?”

Rückmeldung zum ONLINE-Workshop “Tut Wut gut?” 2020 und 2021

„Liebe Maya. Gerade hatte ich wieder 2 filmreife Situationen rund ums Thema Wut. Ich finde, ich habe es gut gemeistert. Bin sehr dankbar für das, was ich in deinem Kurs gelernt habe. DANKESCHÖN HerzGruss“ Christine G. (2022)

„Liebe Maya
Der Workshop hat mir sehr gefallen. Du hast die Gruppe als Ganzes und jedes einzelne Mitglied sehr wertschätzend, gleichwürdig, empathisch und natürlich geführt. Du verbindest dein grosses Fachwissen mit vielen Praxisbeispielen – schön, dass diese auch so persönlich aus deiner Familie sind!“ Barbara A. (2022)

Die Kurse mit Maya Risch sind toll und ich kann sie nur weiterempfehlen. Das Wutometer hängt bei uns an der Familien-Info- Pinwand und hilft oft einfach auch ins Gespräch zu kommen… Und wie ist deine Gefühls-Wetterlage heute ?🌡
Maria H-F. (2021)

Liebe Maya
Es war ein wirklich hilfreicher Kurs! .
Schau, hier noch unser Wutometer!
Danke Dir!¨
Lieben Gruss
Susannah

“Liebe Maya
Du bist sehr sympathisch und hast lebensnah erzählt, du bist sehr kompetent rüber gekommen und konntest viele Gedanken noch weiterspinnen und zusätzliche Infos geben.
Ich habe viele (!!) wertvolle Tipps erhalten, sei es von dir, aber auch von den anderen Teilnehmern.
Den Rahmen eines Online-Seminars fand ich super: keine Anreise, keine Rückreise, gemütlich zu Hause mit meinem eigenen Tee.
Toll auch, dass du das Tool Zoom so gut kanntest und auch Einzel-Treffen eingebaut hast.
Es tat gut zu merken, dass ich nicht die einzige bin, die mit Wut umgehen muss. Dass auch andere die ständigen Geschwisterstreite satt sind etc.
Genau, das wär’s 🙂 Für mich alle Daumen hoch, ich würde einen weiteren Kurs meinen Freunden weiterempfehlen.”
R.K.

Rückmeldungen Workshop “Tut Wut gut?” in Zürich

“Es tat enorm gut, einfach ein kleines Zeitfenster zu haben, um sich mit schwierigen Gefühlen auseinanderzusetzen – jenen
der Kinder und eigenen. Durch Inputs und Gespräche konnte ich wiedermal gewahr werden, dass es einfach ein Prozess ist, als
Eltern tragfähige Haltungen zu etablieren und entsprechende Strategien zu üben. Dabei warm begleitet zu sein von Maya wie
den anderen Teilnehmenden liess diesen kurzen Vormittag zu einem grossen Geschenk werden.”
Sasha Staiger Marx


“Der Workshop war für mich ein sehr guter Anlass, meinen eigenen Umgang mit Wut wieder einmal zu reflektieren.
Die Aussagen einiger Teilnehmenden haben mich einen Schritt weitergebracht. Maya habe ich als kompetente,
klare, einfühlsame und humorvolle Leitung erlebt.” Heidi B.


“Am Ende der zwei Stunden hätte ich nach einer Pause am Liebsten noch zwei Stunden weitergemacht.”
Gisela K.


Wut ist eine Kraft

Jesper Juul, Artikel zu Aggression

Mehr zum Thema “Tut Wut gut?”

“Tut Wut gut?” Umgang mit Wut und Aggression

"Tut Wut gut?" Umgang mit Aggression, www.mayarisch.ch
"Tut Wut gut?" Umgang mit Aggression, www.mayarisch.ch
wütendes kleines kind

“Tut Wut gut?”
U
mgang mit Wut und Aggression

In vielen Familien stellt der Umgang mit Wut und Aggression von Kindern eine grosse Herausforderung dar. Jesper Juul hat meiner Meinung nach eine interessante Sicht zu diesem Thema zu bieten.

Unsere aggressiven Emotionen werden oft dann mobilisiert, wenn wir uns nicht als so wertvoll für einen anderen Menschen empfinden, wie wir es gerne wären oder wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden.

Was denkt ihr? “Tut Wut gut?”
“Hmm , also wenn mein Kind wütend ist, schreit und tobt, dann tut mir das nicht gut, es stresst mich, macht mich oft hilflos, weil ich nicht weiss, wie ich damit umgehen soll”, sagt meine Freundin, als ich ihr die entsprechende Frage stelle. Und was sagt ihr Sohn? “Ja, mir tut es gut, wütend zu sein, Dampf abzulassen. Wenn ich ganz laut schreie und wüte, bin ich nachher irgendwie leichter und ruhiger,” antwortet der Junge, als ich ihn frage.

Wie begegnest Du deinem Kind, wenn es “geladen”, aggressiv nach Hause kommt? Wie drückst Du deinen Unmut aus, wenn du dich ärgerst und wie geht es dir dabei?

Wenn du wissen willst, wozu Aggression gut ist, wie Du mit Wutanfällen Deines Kindes umgehen kannst und Deine Erfahrungen mit anderen Eltern austauschen möchtest, biete ich Dir untenstehenden Workshop an.

So haben Teilnehmende den Workshop erlebt


Nächste Workshops “Tut Wut gut?”

Weil wir glauben oder erlebt haben, dass Aggression zu Gewalt führt oder weil wir andere schmerzhafte Erfahrungen mit dem Ausdrücken von Wut gemacht haben, lassen wir sie nur ungern zu und tun uns schwer damit, einen adäquaten Umgang mit der Wut unserer Kinder und unserer eigenen Aggression zu finden.

An diesem Workshop erhältst Du Anregungen dafür wie Du gelassener auf die Wutausbrüche Deines Kindes reagieren kannst. Wir beschäftigen uns damit, welche wichtigen Aufgaben die Wut im menschlichen Dasein erfüllt.  Ich vermittle Wissen und wir setzen uns in der Gruppe mit folgenden Fragen auseinander:

  • Wie können wir der Wut unserer Kinder konstruktiv begegnen?
  • Welche Strategien haben wir Erwachsenen, unsere Gefühle zu regulieren?
  • Wie geht es uns, wenn wir wütend sind?
  • Was steckt hinter der Aggression?
  • Was zeigt sie uns?
  • Wozu ist Wut gut?

Fachlicher Input und Austausch, neue Impulse und Reflexion sind Teil dieses Workshops.
Am ersten Abend erhaltet ihr vor allem Wissen und Informationen zum Thema und wir setzen uns mit unserer eigenen Wut und Strategien zur Regulierung auseinander. Der Umgang mit der Wut der Kinder sowie Eure Fragen und persönlichen Situationen, für die ihr neue Wege sucht, stehen am zeiten Abend im Zentrum.

Für Eltern, Grosseltern und weitere Interessierte

Kosten: Fr. 100.-/Person, Paar Fr. 180.-
Anmeldung: kontakt@mayarisch.ch

Wenn Du lieber den Umgang mit diesem wichtigen Thema lieber in einem individuellen Gespräch besprechen willst, dann begleite ich Dich gern im Rahmen einer Beratung dabei. Dies ist Online möglich oder in meiner Praxis an der Schuppisstrasse 2a, 8057 Zürich.

Wut ist eine Kraft

Jesper Juul, Artikel zu Aggression

Buchtipp: Jesper Juul, Aggression, erhältlich im Onlineshop von familylab.ch

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